1599 – The Globe Theatre

Das Globe Theatre wird 1599 durch die Schauspielgruppe The Lord Chamberlain’s Men, deren bekanntestes Mitglied schon damals William Shakespeare ist, in Southwark, London errichtet. 1613 wird es durch ein Feuer zerstört und ein Jahr später wieder neu aufgebaut und eröffnet, bevor es 1642 erneut schließen muss und 1644 abgerissen wird. Die Grundmauern werden 1989 bei Ausgrabungen gefunden, eine umfassende archäologische Rekonstruktion ist allerdings nicht möglich. Bezüglich der genauen Dimension und des Aussehens des Theaters sind daher leider nur Schätzungen möglich.

Zur Zeit seiner Benutzung hat das Gebäude ein offenes Dach und besteht aus einem (fast) runden Raum, in dem das Publikum, um die Performance zu verfolgen, entweder um die erhöhte Bühne herum gelagerte Stehplätze oder aber Sitze auf den Galerien einnehmen kann, die sich auf drei Stockwerke verteilen. Die höchsten Sitze sind die teuersten. Sie bieten den größten Überblick, sind aber vom Geschehen am weitesten entfernt. Insgesamt soll die dargebotene Kunst möglichst vielen zugänglich sein, also ein Publikum aus allen gesellschaftlichen Stellungen und Schichten im Theaterrund vereinen. Dass das Gebäude mitten im Vergnügungsviertel steht, spricht dafür, dass es dabei nicht primär um Bildung geht, sondern um Unterhaltung.

Durch die zentrale Lage der Bühne ist eine absolute perspektivische Illusion extrem erschwert, ja eigentlich unmöglich, schon weil das Publikum auf der je anderen Seite immer sichtbar bleibt. Dafür steht das Schauspiel – besonders durch die erhöhte Lage der Bühne – ganz im Zentrum des Geschehens und bildet den Mittelpunkt des Raumes. Das beeinflusst auch die Konzeption der Stücke: So werden etwa vermehrt Kampfszenen eingebaut, um die Aufmerksamkeit auf die Schauspieler zu ziehen. Die Darsteller müssen den gesamten Raum bespielen und sämtliche Zuschauerperspektiven berücksichtigen, um alles für alle sehenswert zu machen. Zudem kann sich das Publikum vor allem um die Bühne relativ frei bewegen. Diese Beachtung der verschiedenen Blickweisen und Perspektiven auf einen zentralen Punkt macht den panomaratischen Charakter des Globe Theatres und des dahinterstehenden Theaterideals aus. – Lena-Maria Weiß

Weblinks:

🖙 Webseite Britannica
🖙 Youtube Video – BBC

Schlagwörter: 360°, Ästhetik, audiovisuell, Bauwerk, Denkmal, Didaktik, Event/Performance, fiktional, Gesamtprojektion, geschlossen, haptisch, Immersion, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Rahmenexpansion, Rundband, Rundbau, symbolisch, textuell, Unterhaltung, visuell, Zugleichspräsentation

1585 – Andrea Palladio, das Teatro Olimpico in Vicenza


In diesem Jahr vollendet der Bauherr Andrea Palladio mit dem Teatro Olimpico in Vicenza ein Gebäude, dessen Konzeption die künftige Entwicklung der illusionistischen Bühne maßgeblich befördert. Mit besonderem Augenmerk auf die Verbindung zwischen Zuschauerraum und Bühne kreiert Palladio eine Raumordnung, die nicht wie zuvor im höfischen Theater verschiedene Logen vorsieht, sondern allen Zuschauenden den gleichen wirkungsvollen Bühnenblick ermöglicht. Bereits eine Generation vor Andrea Palladio wird die Tendenz zur Schaffung eines illusionistischen Bühnenbildes offenkundig, die mit der Abkehr von mittelalterlichen Traditionen wie der Simultanbühne einhergeht: Statt wie dort in die Breite ausgerollt und parzelliert zu werden, soll die Totalität der dargestellten Welt jetzt einheitlich vertieft erscheinen. Entsprechend verfügt Palladios Bühnenprospekt – durch seine architektonische Anlage entscheidend erweitert – über mehr Tiefe, was zur Voraussetzung der im Barock entwickelten und eingesetzten Guckkastenbühne wird. So besteht der Hintergrund des Teatro Olimpico nicht mehr länger ausschließlich aus einem gemalten Bühnenbild, sondern wird von einer großflächigen Schauwand ausgefüllt, die sich durch eine gestaffelte illusionistische Hintergrundarchitektur auszeichnet und zu dieser Zeit eine Besonderheit darstellt. Die reale Architektur im Hintergrund der Bühne ermöglicht damit erstmalig eine realistische Wiedergabe der Raumvertiefung. Der Blick der Zuschauenden auf die scheinbar dahinterliegende Kulissenstadt erfolgt durch drei Portale im Bühnenbild. Ursprünglich will Palladio sogar auch die Veränderlichkeit des Bühnenbildes schon gewährleisten, wofür er ein System drehbarer, eingeschobener Bühnenbilder konzipiert, die zum jeweiligen Stück passende Landschaftsausblicke bieten sollen (vgl. Beyer, Palladio, 45–46). Da die Kulissenstadt jedoch konkret für eine Vorstellung von Sophokles’ Tragödie König Ödipus erbaut wird, die statisch vorm Palast von Theben spielt, entscheiden sich die Veranstalter gegen diese Pläne und zugunsten einer fest installierten Hintergrundarchitektur, die jede Veränderung am Bühnenbild ausschließt. Doch auch so schafft Palladios Theater zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in einer Zeit, in der ein vertiefter Illusionsanspruch sich zu regen beginnt, einen neuen, durch Vertiefung erweiterten Darstellungsrahmen für die Dramenwelt auf einer Bühne. – Lena Reuther

Literatur / Quellen:

  • Beyer, Andreas: Andrea Palladio, Teatro Olimpico. Triumpharchitektur für eine humanistische Gesellschaft, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag 1987.

Weblinks:

🖙 Teatro Olimpico Vicenza

Schlagwörter: Ästhetik, Bauwerk, Bild, bildvisuell, Event/Performance, Fernblick, fiktional, Gemälde, Gemälderundbau, Gesamtprojektion, geschlossen, Halbrundband, Immersion, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Panoramabild, Rahmenexpansion, Rundbau, symbolisch, Unterhaltung, Zeichnung, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

1563 – Pieter Bruegel d. Ä., Turmbau zu Babel


Werkgruppe von Pieter Bruegel dem Älteren aus drei Versionen, welche motivisch ähnlich auf die Turmbau-Geschichte aus dem ersten Buch Mose (Gen 11, 1–9) rekurrieren und deren bekannteste und wirkungsreichste Gestaltung in der Kunstgeschichte darstellen. Wie meistens stehen auch hier das gigantische Ausmaß des Bauwerks, der quasi unendliche Aufwand an dafür benötigten Materialien und Arbeitskräften sowie die vom römischen Kolosseum inspirierte Bautechnik im Vordergrund. Auf allen Versionen des Gemäldes ist der Turm bis zum siebten Stockwerk errichtet, das achte befindet sich gerade im Bau. Auf der umgebenden Rampe stehen Leitern, Gerüste und Kräne. Traditionell meist als biblisch-christliche Versinnbildlichung der menschlichen Hybris, sich Gott als Schöpfer gleichzustellen, und der darauffolgenden Bestrafung gedeutet, kann die Bildkomposition unter panoramatischem Gesichtspunkt auch als Manifestation des Begehrens nach technischer Erreichung einer maximalen Aus- und Übersichtsposition sowie dessen Limitierung durch den medialen Rahmen, hier konkret: den oberen Bildrand, aufgefasst werden. – Caroline Klein | Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Pénot, Sabine/Oberthaler, Elke: „[Kat.-Nr. 63] Der Turmbau zu Babel, 1563“. In: Bruegel. Die Hand des Meisters, Ausst.-Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum, hg. von Sabine Haag, Stuttgart: Belser 2019, S. 174–181
  • Spronk, Ron: „[Kat.-Nr. 64] Der Turmbau zu Babel, nach 1563 (?)“. In: Bruegel. Die Hand des Meisters, Ausst.-Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum, hg. von Sabine Haag, Stuttgart: Belser 2019, S. 182–185

Weblinks:

🖙 Wikipedia
🖙 Wikipedia

Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, fiktional, Gesamtprojektion, Großtableau, Inhaltspanoramatik, Medialpanoramatik, mimetisch, Mythos/Religion, Organisation, Rahmenexpansion, Rundbau, symbolisch, Technik, Wimmelbild, Zugleichspräsentation

ca. 1530 – Giulio Camillo, Gedächtnistheater

In eigentümlicher Verknüpfung von antik-rhetorischer Mnemotechnik – insbesondere des ‚Ablegens‘ von zu Erinnerndem in einer Ortsstruktur – sowie renaissance-synkretistischer Hermetik ersinnt Giulio Camillo (ca. 1480–1544) ein Weltgesamterfassungsschema mit dem „ungeheueren Anspruch, […] das Universum durch einen Blick von oben, von den ersten Ursachen her, als ob er Gott wäre, in Erinnerung [zu] behalten.“ (Yates, Gedächtnis und Erinnern, S. 137). Auf diese Art könne „der Mikrokosmos […] den Makrokosmos ganz verstehen.“ (ebd.). Zwar bleibt eine bauliche Realisation seines Konzepts, das als aufsteigendes Halbrund-Theatrum gedacht ist, dem reisenden Gelehrten zeitlebens versagt, doch kann er Besuchern einen zimmergroßen Prototyp vorführen. Im Theaterbild entspricht die Anordnung sieben jeweils siebenreihigen Tribünensektoren, in denen aber nicht wie sonst das Publikum Platz findet, sondern sich Himmelskörper, Mythologeme, Sinnbilder, Elemente, Künste und Realien auf wundersame Weise zueinanderfügen, während die allüberschauende Instanz vorn auf der (statt wie sonst zuunterst) hier zuoberst imaginierten Bühne steht – mit Zentralblick wie von einer späteren Panorama-Plattform. (Yates, Gedächtnis und Erinnern, S. 381–392) Mangels Betriebspraxis gerät Camillos Gedächtnistheater jedoch bald in Vergessensheit. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Yates, Frances A.: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles und Shakespeare. [OA: The Art of Memory. 1966], 5. Aufl., Berlin: Akademie Verlag 1999, S. 123–149
  • Camillo, Giulio: L’idea del theatro con L’idea dell’eloquenza, il De Transmutatione e altri testi inediti, Milano: Adelphi 2015

Weblinks:

🖙 Wikipedia Camillo (IT)
🖙 Wikipedia Theater (IT)

Schlagwörter: Bauwerk, bildvisuell, Denkmal, Diagramm, Didaktik, Draufblick, Enzyklopädie, faktual, fiktional, geordnet, Gesamtarchiv, Gesamtdiagramm, geschlossen, Großtableau, Halbrundband, Idealpanoramatik, Konzept/Idee, Medialpanoramatik, Medieninstallation, Mikropanoramatik, Mythos/Religion, Organisation, Rundbau, schematisch, symbolisch, Tabelle, textuell, unbegrenzte Allheit, Wissenschaft, Zeitensynopse, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation, Zugriffspräsentation

ca. 1260–1275 – Albrecht, Weltspiegel im Jüngeren Titurel

Über das Leben und Werk des deutschen Dichters Albrecht, der den Gralsroman Jüngerer Titurel gedichtet hat, ist wenig bekannt. Man weiß aber, dass das Epos, das als Ergänzung zu Wolframs Titurel-Fragmenten entstand, ungefähr in der zweiten Hälfte des 13. Jh. geschrieben wurde. Gegen Ende des Jüngeren Titurels (Str. 6244–6247) beschreibt Albrecht einen Weltspiegel, der im Palast des legendären Priesterkönigs Johannes steht. Er befindet sich am oberen Ende einer architektonisch komplexen Säule im Zentrum des Hofes und zeigt, wer „sich irgendwo in einer der Provinzen mit Haß gegen den König stellt“ (Jüngerer Titurel, Str. 6245,2b–6246,3, in Übersetzung von Störmer-Caysa). Außerdem bildet der Spiegel nichts ab: weder Landschaft noch die Menschen, die für den Monarchen gefahrlos sind. Und sobald die Schuld des Feindes getilgt wird, verschwindet dieser wieder aus dem Spiegel. Dadurch ist er sehr eng mit der Figur des Königs verbunden, zumal dieser sich die meiste Zeit in seiner Nähe befindet. Der Weltspiegel ist in dem Sinne panoramatisch, dass sein Erfassungsradius nicht begrenzt ist: Er kann sowohl geographisch alle Provinzen überschauen als auch in den Verstand eines Menschen dringen. Seine magischen Fähigkeiten dienen aber ausschließlich der Sicherung der Macht des Priesterkönigs. Aus der Beschreibung des Spiegels entsteht eine markante Spannung zwischen dem Wahrnehmen und dem Zeigen: der Spiegel soll einen Zugriff zu den Gedanken aller Menschen in allen Provinzen haben, um zu verstehen, wer Feind ist und wer nicht. Jedoch zeigt er dem Herrscher nur das Ergebnis seiner Untersuchung, nur die Menschen, die er als Feinde klassifiziert hat. – Sofya Sinelnikova

Literatur / Quellen:

  • Störmer-Caysa, Uta: „Übersicht und Einsicht. Wundersäulen und Weltspiegel in mittelalterlichen Texten“. In: Alles im Blick. Perspektiven einer intermedialen Panoramatik, hg. von Roman Mauer, Johannes Ullmaier, und Clara Wörsdörfer, Wiesbaden: Springer 2025, S. 109–144.
  • Albrecht von Scharfenberg: Jüngerer Titurel. Nach den ältesten und besten Handschriften kritisch herausgegeben von Werner Wolf (Bd. 1–2) und Kurt Nyholm (Bd. 3-4), Berlin: Akademie-Verlag 1955.

Weblinks:

🖙 Albrecht (Jüngerer Titurel)

Schlagwörter: Ästhetik, Bauwerk, Blicktransparenz, Buch, Fernblick, fiktional, Konzept/Idee, Medientechnik, mimetisch, Mythos/Religion, Rundbau, symbolisch, Text, textuell, Überwachung, visuell, Wissenschaft, Zugriffspräsentation

1200–1210 – Wolfram von Eschenbach, Wundersäule im Parzival

In dem mittelhochdeutschen Epos Parzival wird eine Wundersäule beschrieben (Str. 589,1–590,16 u. 592,1–19), die wie ein Weltspiegel funktioniert. Sie befindet sich im Wunderland Terre marveille und macht sämtliche Vorgänge im Umland sichtbar. Die Säule steht nicht im Freien, sondern ist innerhalb eines überkuppelten Turms situiert, durch dessen Fenster sie Strahlen aussendet. Diese kehren zur Säule zurück und erzeugen ein dynamisches Abbild im Einklang mit der Welt, das auf der Säule sichtbar wird. Da die Strahlen einzig durch die Fenster des Turmes hinausgelangen, entstehen trotz der 360°-Anlage blinde Flecken, während die Strahlen, die durch zwei benachbarte Fenster ausgesendet werden, eine Szene wiederum nur aus unterschiedlichen Winkeln abbilden können. Das Wahrnehmen dieser mimetischen Repräsentationen unterscheidet sich deutlich vom alltäglichen Sehen, weil die Abbildungen auf der Säule von der in dem Epos erzählten Realität abweichen. Denn infolge der Überlappungen und Verzerrungen entsteht eine gewisse Diskontinuität der Darstellung. Im Unterschied zum Spiegel aus dem Eneasroman Heinrich von Veldekes ist für die Wundersäule auch ein Betrachter vorgesehen: Das Zusammenwirken von der abbildenden Säule und den wahrnehmenden Rezipienten, die je nach Vorwissen und Einstellungen das Dargebotene unterschiedlich verstehen, ist für das wolframsche Konzept sehr wichtig. Wolframs Wundersäule wurde in weiteren mittelalterlichen Texten rezipiert und gedeutet, etwa im Jüngeren Titurel sowie in Heinrich von Neustadts Apollonius von Tyrland. – Sofya Sinelnikova

Literatur / Quellen:

  • Störmer-Caysa, Uta: „Übersicht und Einsicht. Wundersäulen und Weltspiegel in mittelalterlichen Texten“. In: Alles im Blick. Perspektiven einer intermedialen Panoramatik, hg. von Roman Mauer, Johannes Ullmaier, und Clara Wörsdörfer, Wiesbaden: Springer 2025, S. 109–144.
  • Wolfram von Eschenbach: Parzival, Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker-Verlag 1994.

Weblinks:

🖙 Wikipedia

Schlagwörter: 360°, Allwahrnehmung, Buch, Draufblick, Ekphrasis, Fernblick, fiktional, geschlossen, Idealpanoramatik, Konzept/Idee, Kugel, Medialpanoramatik, Medientechnik, Mythos/Religion, Rundbau, symbolisch, Text, textuell, Überwachung, visuell, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

1170–1188 – Heinrich von Veldeke, Weitsicht-Spiegel im Eneasroman

Der Eneasroman, der erste deutschsprachige höfische Roman, wird im 12. Jh. vom Dichter Heinrich von Veldeke als Übersetzung des französischen Roman d’Eneas verfasst. Die beiden Werke sind mittelalterliche Bearbeitungen zu Vergils Epos Aeneis, in dem die Vorgeschichte der Begründung Roms erzählt wird. Im Eneasroman (Str. 9562–9571) beschreibt Veldeke einen wunderbaren Weitsicht-Spiegel. Dieser befindet sich auf dem Grabmal der amazonischen Königin Camilla, das sie schon bei Lebzeiten bauen lässt. Veldekes Beschreibung bezieht sich auf die Priester-Johannes-Tradition: Auf dem Grabmal wird ein mehrstufiges, säulenartiges Bauwerk mit einem Spiegel am oberen Ende eingerichtet. Aus der Perspektive der Optik und der Technologie kann man sich diesen als Vollkugel oder mindestens als Konvexspiegel vorstellen, da er das Herrschaftsgebiet rundum abbildet. Die Projektion erfolgt in zwei Dimensionen: Die erste umfasst das Sichtbare, also die räumliche Umgebung, die zweite hingegen das Unsichtbare – die feindlichen Absichten der Menschen. Diese Fähigkeiten des Spiegels können auch der Verteidigung der Herrschaft dienen, allerdings nur, wenn es jemanden gibt, der in den Spiegel schaut. Doch kann sich – Veldekes Beschreibung nach – niemand in dem Bauwerk aufhalten, weil die Eingänge vermauert sind. Theoretisch ist aber ein Blick von außen möglich, wenngleich fraglich scheint, wie viel man überhaupt auf diese Weise sehen kann. Obwohl die Verteidigungsfunktion des Spiegels in Veldekes Werk also deutlich ausgewiesen ist, bleibt der Weg, sie zu benutzen, doch versperrt. Wie in anderen mittelalterlichen Weltspiegel-Fiktionen offenbart sich auch hier ein besonderer Zusammenhang zwischen Wahrnehmen und Zeigen: Der Spiegel nimmt zwar alles wahr, das kann aber niemand sehen. – Sofya Sinelnikova

Literatur / Quellen:

  • Störmer-Caysa, Uta: „Übersicht und Einsicht. Wundersäulen und Weltspiegel in mittelalterlichen Texten“. In: Alles im Blick. Perspektiven einer intermedialen Panoramatik, hg. von Roman Mauer, Johannes Ullmaier, und Clara Wörsdörfer, Wiesbaden: Springer 2025, S. 109–144.
  • Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdt. übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachw. von Dieter Kartschoke, Stuttgart: Reclam 2007.

Weblinks:

🖙 Eneasroman

Schlagwörter: 360°, Allwahrnehmung, Buch, Draufblick, Ekphrasis, Fernblick, fiktional, geschlossen, Idealpanoramatik, Konzept/Idee, Kugel, Medialpanoramatik, Medientechnik, Mythos/Religion, Rundbau, symbolisch, Text, textuell, Überwachung, visuell, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

549 – Apsis von Sant’Apollinare in Classe bei Ravenna


Rundbild und Halbkuppel-Bild mit himmlischem Paradies und biblischen Szenen. Frühes Beispiel prä-immersiver und prä-panoramatischer Kircheninnenraumgestaltung. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Berger, Klaus/Beinert, Wolfgang/Wetzel, Christoph u. a.: Bilder des Himmels. Die Geschichte des Jenseits von der Bibel bis zur Gegenwart, Freiburg i. B.: Herder 2006, S. 86

Weblinks:

🖙 Wikipedia
🖙 Innenansicht

Schlagwörter: Ästhetik, Bauwerk, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, Gemälderundbau, Großtableau, Halbkugel, Halbrundband, Medialpanoramatik, mimetisch, Mythos/Religion, Panoramabild, Rundbau, Rundbild, symbolisch, Unterhaltung, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

112–113 – Trajanssäule


35 m hohe Ehrensäule von 3,7 m Durchmesser für den römischen Kaiser Trajan (98–117). Auf deren 190 m langem Schraubenreliefband sind in 23 Rundwindungen wimmelbildartige Szenen aus zwei zeitgenössischen Eroberungsfeldzügen gegen die Daker in rahmenlos fortlaufender Aufwärts-Chronologie dargestellt. In seinem monumentalen Selbstverherrlichungs-Panorama erscheint Trajan unter den insgesamt etwa 2500 Figuren selbst 58 mal, mithin teils mehrfach zugleich. Anstelle der den Säulengipfel ursprünglich zusätzlich krönenden Trajanstatue steht seit 1587 eine Bronzestatue des Apostels Petrus. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Mithoff, Fritz/Schörner, Günther (Hgg.): Columna Traiani – Trajanssäule. Siegesmonument und Kriegsbericht in Bildern. Beiträge der Tagung in Wien anlässlich des 1900. Jahrestages der Einweihung, 9.–12. Mai 2013, Wien: Holzhausen 2017
  • Stefan, Alexandre Simon (Hg.): Die Trajanssäule. Dargestellt anhand der 1862 für Napoleon III. gefertigten Fotografien. Mit einem Beitrag von Hélène Chew, Darmstadt: wbg / Philipp von Zabern 2020

Weblinks:

🖙 Wikipedia

Schlagwörter: (Aus-)Faltung, Ästhetik, Bauwerk, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, faktual, fiktional, geordnet, Gesamtprojektion, Großtableau, haptisch, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, mimetisch, Mythos/Religion, offen, Rahmenexpansion, Rundbau, schematisch, Schraubenband, Skulptur, Überbreite, Wimmelbild, Zeitensynopse, Zugleichspräsentation

ca. -250 – Turmbau zu Babel im Alten Testament

Der biblische Bericht vom Turmbau zu Babel (Gen 11, 1–9) ist eine der bekanntesten Erzählungen des Alten Testaments. Darin beginnt ein Volk aus dem Osten, welches „die eine“ heilige Sprache spricht, in der Ebene des Landes Schinar einen Turm zu bauen, der mit seiner Spitze bis zum Himmel reichen soll, was traditionell als Versuch der Menschheit gedeutet wird, sich Gott gleichzustellen, indem man sich zu dessen himmlischer Überschau-Perspektive hocharbeitet. Gott sabotiert dieses Vorhaben durch die babylonische Sprachverwirrung: Wo zuvor alle Menschen ein gemeinsames Zentrum und eine universale Verständigungsbasis hatten, sind sie nun in alle Welt verstreut und verstehen einander nicht mehr. Realgeschichtlich wird der Turmbau heute am ehesten mit der Zikkurat Etemenanki in Verbindung gebracht. – Caroline Klein

Literatur / Quellen:

  • Wadler, Arnold: Der Turm von Babel [1935], Wiesbaden: Fourier Verlag 1980
  • Katholische Bibelanstalt (Hg.): Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Freiburg im Breisgau: Herder 2016, Gen 11, 1–9
Schlagwörter: Bauwerk, Denkmal, Didaktik, Fernblick, fiktional, Idealpanoramatik, Inhaltspanoramatik, Konzept/Idee, Mythos/Religion, Organisation, Rundbau, symbolisch, Technik, Text, textuell