1682 – Schloss Versailles


Die Umkehrung des auf den absolutistischen Herrscher konzentrierten Baus ist das Grande Perspective genannte Panorama der Gärten, so wie sich aus aller Zentralperspektive ex negativo eine Gesamtschau und aus aller Isolierung eines Subjekts dialektisch eine Gesellschaft (ein Staat) ergibt. Dieses Denken spiegelt auch der ursprüngliche Plan der Baumeister Ludwigs XIV., die umgebenden Straßen wie Strahlen einer Sonne (des Sonnenkönigs) breit ausfächern zu lassen. Die Gleichung „L’État c’est moi“ könnte übersetzt werden in: Punkt ist Panorama. 1819 schuf der Maler John Vanderlyn in New York das erste große Panorama von Versailles. Um es zu erstellen, setzte er eine Camera obscura ein. – Stefan Ripplinger

Literatur / Quellen:

  • Lablaude, Pierre-André: Die Gärten von Versailles, Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft 1995
  • De Givry, Jacques/Périllon, Yves: „Versailles, la Grande Perspective“. In: Versalia. Revue de la Société des Amis de Versailles 11 (2008), S. 99–112, S. 102
  • West, Peter (Hg.): Panoramas, 1787–1900: Texts and Contexts, Abingdon, London: Routledge 2016, S. 1–14
Schlagwörter: Ästhetik, Bauwerk, bildvisuell, Denkmal, Draufblick, faktual, Fernblick, geschlossen, Großtableau, Medialpanoramatik, Naturpanorama, Organisation, Realpanoramatik, Skulptur, Technik, Überwachung, Unterhaltung, visuell, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

1679 – Athanasius Kircher, Turris Babel


In drei Büchern konzipiertes Werk des jesuitischen Gelehrten Athanasius Kircher. Ursprünglich im Jahre 1679 in Amsterdam mit mannigfaltigen Illustrationen publiziert und dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Leopold I. gewidmet, liefert es in den ersten zwei Büchern naturwissenschaftlich-mathematische Erklärungsansätze zur hypothetischen Fragestellung, ob mit den vorhandenen Ressourcen, sowohl hinsichtlich der Arbeitskräfte sowie des Rohstoffvorkommens, die Erbauung des Turmes möglich gewesen wäre, wohingegen das dritte eine kulturwissenschaftlich-linguistische Analyse der sogenannten Sprachverwirrung in Folge des Turmeinsturzes enthält. Während Kircher im ersten Buch mithilfe einer simplifizierenden Rechnung die für die Erbauung potenziell zur Verfügung stehende Population der Nachkommen von Noah nach der Sintflut bis zu dessen Urgroßenkel Nimrod berechnet und dabei auf eine Bevölkerungsanzahl von 24.380.000.000 kommt, bildet die im zweiten Buch durchexerzierte Kalkulation einen phantastischen Höhepunkt panoramatischer Spekulation: Demnach sei das zur Zeit der Erbauung benötigte Rohstoffvorkommen auf der Erde gar nicht vorhanden gewesen, und selbst wenn, so hätte der Turm mit seinem Gewicht den gesamten Erdkreis in seiner geozentrischen Position aus dem Gleichgewicht und somit das Weltgefüge zum Kollaps gebracht. Damit untermauert Kircher quasi mathematisch die Darstellung in der Genesis. Signifikanter als dieser kanonkonforme Befund erscheint indes der groteske szientistische Aufwand, mit dem die Vergeblichkeit des panoramatischen Turmbau-Begehrens – wenige Jahre vor Newtons Philosophiæ Naturalis Principia Mathematica (1687) – offenbar bereits erwiesen werden muss, anstatt gemäß dem biblischen Bericht einfach geglaubt zu werden. – Gabryel Greco

Literatur / Quellen:

  • Kircher, Athanasius: Turris Babel Sive Archontologia [1679], Saarbrücken: Fines Mundi 2022

Weblinks:

🖙 Wikipedia
🖙 Westfalen Museum digital

Schlagwörter: Bauwerk, Bild, bildvisuell, Buch, Denkmal, Didaktik, fiktional, Idealpanoramatik, Inhaltspanoramatik, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Mythos/Religion, Organisation, Rundbau, symbolisch, Technik, Text, textuell, Unterhaltung, Zugleichspräsentation

1668 – John Wilkins, An Essay Towards a Real Character And a Philosophical Language


Eigentlich will John Wilkins, erster Sekretär der nachmals berühmten Royal Society of London for Improving Natural Knowledge, ‚nur‘ eine Universalsprache entwerfen – und zwar keine aposteriorische, auf bestehenden Sprachen aufbauende (wie etwa sehr viel später das Esperanto), sondern eine apriorische, am Reißbrett konstruierte. Allerdings erfordert der Anspruch, dass die Ordnung dieser Sprache derjenigen der Sachen eins zu eins entsprechen solle, ‚zunächst einmal‘ die Mühe, sämtliche Sachen zu ordnen, einschließlich der nicht-dinglichen und der nicht-existierenden. Folgerichtig ist das Herzstück von Wilkins’ über 600 Folioseiten füllendem Essay eine riesige ausfaltbare Tabelle, also das syn-optische – um nicht zu sagen: panoramatische – Medium par excellence, das Michel Foucault nicht umsonst als Leitmedium der ‚Episteme der Repräsentation‘ ausgemacht hat (wobei unverständlich ist, warum er Wilkins in Les mots et les choses nur einmal kurz erwähnt, obwohl das Buch mit Borges’ Aufsatz über dessen Essay (1942) einsetzt; vgl. Foucault, Les mots et les choses, S. 7 und sonst nur 104, Anm. 1). Auf einen Blick auszumachen ist auf dieser Tabelle beispielsweise, warum der Adler Zeba heißen muss: Z für seine Zugehörigkeit zu den Tieren, e für das dritte von vier Genera innerhalb der Tiere (die Vögel im Unterschied zu blutleeren Tieren, den Fischen und den ‚Beasts‘), b für seine Zugehörigkeit zur ersten Differenz unter den Vögeln (den fleischfressenden), a, weil er in dieser Klasse die erste species bildet. Und wenn es kein Adler, sondern ein Geier wäre, der als die wilde Variante zum Adler gilt, hieße er, um diesen Unterschied zu markieren, Zebas. Weil aber noch die Arbitrarität dieser lateinischen (bzw. in einem Exemplar griechischen) Buchstaben zu überwinden ist, ergänzt Wilkins seine Universalsprache um eine Universalschrift, eben die Real Characters, mit denen alles, was es gibt (oder nicht gibt), auf ein ihm angeblich genau entsprechendes Set von Strichen und Häkchen gebracht wird. – Robert Stockhammer

Literatur / Quellen:

  • Foucault, Michel: Les mots et les choses: Une archéologie des sciences humaines, Paris: Gallimard 1966
  • Wilkins, John: An Essay Towards a Real Character and a Philosophical Language [1668], Reprint, Menston: Scolar 1968
Schlagwörter: Buch, Diagramm, Didaktik, Enzyklopädie, faktual, geordnet, Gesamtdiagramm, geschlossen, Idealpanoramatik, Konzept/Idee, Medialpanoramatik, Medientechnik, Organisation, schematisch, symbolisch, Technik, Text, textuell, unbegrenzte Allheit, Wissenschaft, Zugriffspräsentation

1658 – Johann Amos Comenius, Orbis Pictus. Die Welt in Bildern


Über Jahrhunderte meistverbreitetes Schulkompendium des jeweiligen Weltcurriculums, durchgängig in Bild und Text vermittelt. Universales Prüfungswissen von Gott bis zum Insekt. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Comenius, Johann Amos: Orbis sensualium pictus, Dortmund: Harenberg Kommunikation 1978

Weblinks:

🖙 Wikipedia

Schlagwörter: Bild, bildvisuell, Buch, Diagramm, Didaktik, Enzyklopädie, faktual, geordnet, Gesamtkompendium, geschlossen, Idealpanoramatik, Karte, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Organisation, schematisch, symbolisch, Tabelle, Technik, Text, textuell, Zugriffspräsentation

1655 – Pedro Calderón de la Barca, El gran teatro del mundo

Das mutmaßlich um 1635 entstandene Mysterienspiel (dt. Das große Welttheater) entwirft ein zeitgenössisches Gesamtbild der menschlichen Lebens- und Ständeordnung. Zu Beginn der Handlung tritt der All-Schöpfer (in Eichedorffs klassischer Übersetzung „Der Meister“) auf, der auf dem – als „Die Welt“ ebenfalls zur Sprechrolle personifizierten – Theater des irdischen Diesseits die Rollen verteilt. Jede davon verkörpert eine bestimmte Funktion im christlich-feudalen Weltgefüge. Die Bühne symbolisiert die Struktur des menschlichen Daseins sowohl räumlich wie zeitlich, letzteres konkret mit einem Tor für den Ein- bzw. Auftritt (die Wiege für die Geburt) und einem Tor für den Abgang (das Grab für den Tod). Jeder Schauspieler bekommt für seine Rolle die nötigen Utensilien bereitgestellt, realisiert seine Funktion in der Welt und reagiert so, wie es seine sittlichen und sozialen Lebensumstände bedingen. Der Arme bittet etwa um Almosen, die der Reiche ihm verwehrt. Allerdings müssen alle Spieler (spezifische Frauenrollen gibt es hier nicht) alles, was ihnen für ihr Lebensschauspiel eingangs zugefallen ist, am Ende wieder abgeben. Jeder Mensch verlässt die Bühne so, wie er sie betreten hat. – Jana Keim | Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Calderón de la Barca, Pedro: El grand teatro del mundo / Das große Welttheater, Stuttgart: Reclam 2012

Weblinks:

🖙 Text der Eichedorff-Übersetzung

Schlagwörter: Ästhetik, audiovisuell, bildvisuell, Buch, Didaktik, Event/Performance, fiktional, geordnet, Gesamtdiagramm, geschlossen, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Mythos/Religion, Organisation, schematisch, symbolisch, Text, textuell, Universalchronik, Unterhaltung, Zeitensynopse

1619 – Johann Valentin Andreae, Reipublicae Christianopolitanae descriptio


Prä-panoptische Stadtstaats-Utopie inklusive panoramatischer Stadtansicht; christliche Präfiguration eines zentralistischen Überwachungsarchitektur-Begehrens, das sich hier chronologisch wie epochal deutlich vor der Aufklärung zeigt, mit der es seit Foucaults Bentham-Diskurs oft starr assoziiert wird. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Andreae, Johann Valentin: Christianopolis, Stuttgart: Reclam 1975

Weblinks:

🖙 Wikipedia

Schlagwörter: 360°, Bauwerk, Bild, bildvisuell, Buch, Didaktik, Draufblick, fiktional, Gesamtprojektion, geschlossen, Idealpanoramatik, Konzept/Idee, Medialpanoramatik, Mythos/Religion, Organisation, Rundbau, schematisch, symbolisch, Text, textuell, Überwachung, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

1609 – Galileo Galilei, erstes Teleskop für astronomische Nutzung


Galileo Galilei entwickelt aus dem im Vorjahr erfundenen „niederländischen Fernrohr“ Hans Lipperheys ein Sichtgerät, das Himmelskörper in 14-facher Vergrößerung zu sehen erlaubt. Dieses erste Teleskop besteht aus einem Holzrohr, das außen mit Papier verkleidet ist, einer Zerstreuungslinse und einem Objektiv, welches im Durchmesser 5,1 cm und an der dicksten Stelle 2,1 cm misst. Galileis Weiterentwicklung ist ein Markstein in der Geschichte des panoramatischen Bestrebens, immer genauer und weiter in die Welt und insbesondere ins Weltall auszuschauen, die über viele Zwischenschritte bis zum James-Webb-Weltraumteleskop führt. – Caroline Klein | Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Reeves, Eileen Adair: Galileos glassworks: the telescope and the mirror, Cambridge MA: Harvard University Press 2008

Weblinks:

🖙 Galilei-oder holländisches Fernrohr

Schlagwörter: bildvisuell, Denkmal, Didaktik, faktual, Fernblick, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Naturpanorama, Organisation, Realpanoramatik, Technik, Überwachung, Wissenschaft, Zugleichspräsentation

1608 – Erfindung des Fernglases

Am 2. Oktober 1608 präsentiert der deutsch-niederländische Brillenmacher Hans Lipperhey (1570–1619) dem Rat von Zeeland seine Erfindung des Fernglases. Darin ist eine Sammellinse in einer Röhre aus Holz, Pappe oder Leder in einer bestimmten Entfernung von einer Zerstreuungslinse befestigt. Da Galileo Galilei das Prinzip wenig später adaptiert und zum ersten Teleskop weiterentwickelt, wird das Konzept oft auch als Galilei-Fernrohr bezeichnet. Der Rat von Zeeland beauftragt Lipperhey mit der kommerziellen Fertigung, woraufhin sein Fernglas ab 1609 unter dem Namen „Teleskope“ zuerst in Paris und noch im selben Jahr auch in Deutschland und Italien verkauft wird. Lipperhey beantragt für seine Erfindung ein Patent, doch da auch Jacob Metius und Zacharias Janssen Anspruch darauf erheben, wird es dem Erfinder verwehrt. – Caroline Klein

Literatur / Quellen:

  • Riekher, Rolf: Fernrohre und ihre Meister, Berlin: Verlag Technik 1957

Weblinks:

🖙 Die Geschichte des Teleskops 

Schlagwörter: bildvisuell, Denkmal, Didaktik, faktual, Fernblick, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Naturpanorama, Organisation, Realpanoramatik, Technik, Überwachung, Wissenschaft, Zugleichspräsentation

1602 – Matteo Ricci, Karte der unzähligen Länder der Welt

Der Jesuit Matteo Ricci, seit 1577 Missionar in Asien, führt hier die geografischen Erkenntnisse aus Europa mit denen der chinesischen Tradition zusammen. Erstmals zeigt eine chinesische Weltkarte Amerika. Wichtige Zäsur im Prozess der Synthetisierung einer einheitlichen Repräsentation der Erdoberfläche. – Bernd Klöckener

Literatur / Quellen:

  • Oswalt, Vadim: Weltkarten – Weltbilder. Zehn Schlüsseldokumente der Globalgeschichte, Stuttgart: Reclam 2015, S. 155–168
  • Weblinks:

    🖙 Wikipedia

Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Didaktik, Draufblick, faktual, Gemälde, Gesamtprojektion, Karte, Medialpanoramatik, mimetisch, Organisation, schematisch, symbolisch, Weltkarte, Wissenschaft, Zugleichspräsentation

1587 – Historia von D. Johann Fausten


Auf schwankender realhistorischer Basis führt die Historia von D. Johann Fausten. Dem Weltbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler mit der Titelfigur den personifizierten Mythos des Allwissenheitsbegehrens in die deutsche Literaturgeschichte ein. Zudem enthält sie (gleich nach der Höllenfahrt) mit dem Kapitel „Wie D. Faustus in das Gestirn hinaufgefahren“ ein eindrückliches Beispiel für die fiktionale Beschreibung einer celestischen Flug-Allschau, die nach Fausts homodiegetischer Behauptung im Ganzen eine Woche dauert. Wo und inwieweit die rasante Enumeration der Länder und Städte, die Faust im Flug gesehen haben will, als narrativer ‚Schnelldurchlauf in Vogelperspektive‘ und damit als früh imaginierte Panoramaflug-Bewegung oder aber als ekphrastische Entfaltung einer quasi-statischen Fernblick-Perspektive ‚von ganz oben‘ zu deuten ist, bleibt über weite Strecken unklar. In der Rezeption wirkt die narrative Komprimierung der Stationenfolge jedoch wie ein geografisches Pendant zum späteren Erzählflug durch die Epochenzeit in Johann Peter Hebels Kalendergeschichte Unverhofftes Wiedersehen von 1811. So oder so muss gegen Ende dieses Ausflugs sogar Faust einräumen: „Ich sahe also mehr denn ich begehrte“ (Anonymus, Historia von D. Johann Fausten, S. 51). – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Anonymus: Historia von D. Johann Fausten, Stuttgart: Reclam 1964

Weblinks:

🖙 Digitalisat in der Deutschen digitalen Bibliothek

Schlagwörter: Ästhetik, Buch, Denkmal, Didaktik, Draufblick, Fernblick, fiktional, Inhaltspanoramatik, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Mythos/Religion, Organisation, Panoramaflug, panoramatische Erzählung, Realpanoramatik, symbolisch, Technik, Text, textuell, Überwachung, Unterhaltung, Zugleichspräsentation