1913 – Blaise Cendrars, La Prose du Transsibérien et de la Petite Jehanne de France

Avantgardeprogrammatisch unternimmt das von Sonia Delaunay illustrierte Leporello die simultanistische Ausbreitung der Buch-/Textform zur Tableau-Text/Bild-Fläche, die in freien Versen und konstrastiven Farbkonstellationen eine imaginative Bewegung auf der (real erst 1916 fertiggestellten) Reisestrecke präsentiert. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Cendrars, Blaise: La Prose du Transsibérien et de la petite Jehanne de France, Paris: Les Hommes nouveaux 1913

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Schlagwörter: (Aus-)Faltung, Ästhetik, Bild, bildvisuell, Buch, Ekphrasis, fiktional, geordnet, Gesamtprojektion, Großtableau, Laufpräsentation, Leporello, Medialpanoramatik, mimetisch, Moving Panorama, panoramatische Erzählung, Rahmenexpansion, schematisch, symbolisch, Text, textuell, Überbreite, Zeichnung, Zeitensynopse, Zugleichspräsentation

1913 – Max Brod, Essay Panorama

Unter den 33 Essays der im Kurt Wolff Verlag veröffentlichten Sammlung Über die Schönheit häßlicher Bilder widmet einer sich speziell dem Panorama. Darin bezeichnet Brod die Panoramen, insbesondere das Kaiserpanorama, als Sinnbilder für das Streben der modernen Menschheit nach Überblick, Ordnung und Ganzheit, während sie zugleich die fragmentarische und widersprüchliche Natur der Wahrnehmung offenbarten. Für Brod verkörpert das Panorama die Schönheit der Distanz, die jedoch das Detail und die Nähe leicht übersehen könne. Daher bleibt für ihn fraglich, inwieweit der panoramatische Blick nicht die Tiefe des Erlebens oder die emotionale Verbindung zum Gesehenen beeinträchtige. Im Gegensatz zu Hermann Brochs und Walter Benjamins Panorama-Zugängen, die eher das Kollektive und Historische betonen, legt Brod den Fokus auf die individuelle Wahrnehmung und die daraus resultierenden Spannungen zwischen Sehnsucht und Enttäuschung. Während Benjamin die Panoramen als Sinnbilder für die Phantasmagorien des Kapitals und Broch sie als Ausdruck gesellschaftlicher Dekadenz interpretiert, erkennt Brod im Kaiserpanorama die Möglichkeit einer persönlichen Reflexion über die Grenzen des Sehens. Dabei vermittelt er diesen Ansatz mit der von Karl Rosenkranz entworfenen Ästhetik des Häßlichen (1853), indem er hervorhebt, wie das Panorama auch das Nicht-Schöne und Ungeordnete sichtbar machen könne. So exemplifiziert der Text die panoramatische Methode von Brods Sammlung insgesamt, in der philosophische Reflexion und ästhetische Analyse zu einem umfassenden kulturellen Bild verwoben werden. – Felix Klopsch

Literatur / Quellen:

  • Brod, Max: Über die Schönheit häßlicher Bilder. Essays zu Kunst und Ästhetik [1913], Göttingen: Wallstein 2014, S. 64–70

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Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Buch, Denkmal, Ekphrasis, faktual, fiktional, geschlossen, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Moving Panorama, Panorama-Beschreibung, Panorama-Diskurs, Panoramabild, panoramatische Diskursform, Rundband, Rundbau, Text, textuell, Unterhaltung

1912 – Borodino-Schlachten-Panorama


Zum hundertjährigen Jubiläum der Schlacht von Borodino schafft Franz Roubaud ein monumentales Panoramagemälde, das seit 1962 in einem eigenen Museums-Rundbau in Moskau präsentiert wird. Ausgangspunkt für die DDR-Planungen des künftigen Bauernkriegspanoramas in Bad Frankenhausen. – Johannes Ullmaier

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Schlagwörter: 360°, Ästhetik, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, faktual, Fernblick, Gemälde, Gemälderundbau, Gesamtprojektion, geschlossen, Immersion, Medialpanoramatik, mimetisch, Panoramabild, Rundband, Rundbau, Unterhaltung, Wimmelbild, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

1909 – Robert Delaunay, , Bildserie Tour Eiffel


In einer Vielzahl variierender Anläufe versucht der französische Maler Robert Delaunay, eine bild-künstlerische 2D-Allansicht des Eiffelturms zu kreieren, die dem panoramatischen Potenzial des Sujets entspricht. Die in den Jahren 1909 bis 1912 und 1920 bis 1928 entstehenden Bilder sind dem mit seiner Frau Sonia Delaunay-Terk begründeten Orphischen Kubismus zuzuordnen und zeigen das Bauwerk stets aus mehreren Blickwinkeln zugleich. – Sarah Karsten | Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Delaunay, Robert/Apollinaire, Guillaume: Les Tours Eiffel de Robert Delaunay, Paris/Brüssel: Jacques Damase 1974

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Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Denkmal, faktual, Gemälde, Gesamtkompendium, Gesamtprojektion, Medialpanoramatik, mimetisch, offen, panoramatische Diskursform, schematisch, Technik, Unterhaltung, Zeitensynopse, Zugleichspräsentation

1904 – Kurd Laßwitz, Die Universalbibliothek

Dialogerzählung des Physikers und Mehrwelten-Sci-Fi-Pioniers (Auf zwei Planeten, 1897), in der das vielfach präfigurierte Konzept einer Bibliothek aller kombinatorisch möglichen Bücher – hier mit bis zu 500 Seiten Umfang – durchgespielt und deren Größe als zwar endlich, doch für das reale Universum viel zu groß erkannt wird; nimmt das Kernmotiv von Jorge Luis Borges’ Bibliothek von Babel vorweg, setzt aber andere Akzente. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Laßwitz, Kurd: „Die Universalbibliothek“ [1904]. In: Nie und Immer, hg. von Kurd Laßwitz, Lüneburg: Dieter von Reeken 2009

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🖙 Wikipedia zu Laßwitz

Schlagwörter: (Aus-)Faltung, Ästhetik, Bauwerk, Buch, Didaktik, fiktional, geordnet, Gesamtarchiv, Gesamtdiagramm, Gesamtkompendium, geschlossen, Idealpanoramatik, Inhaltspanoramatik, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Organisation, schematisch, Speicher, symbolisch, Text, textuell, unbegrenzte Allheit, Unterhaltung, Utopie/Dystopie, Zugriffspräsentation

1903 – Raymond Roussel, La Vue

Die Behauptung des aus über 2000 Alexandrinern bestehenden Werks La Vue (dt. Der Anblick/Der Blick) ist, dass es die Fotografie eines Strandpanoramas beschreibt, die in der als Lupe dienenden Glaskugel eines Souvenir-Füllfederhalters eingelassen ist. Wie der Roussel-Spezialist Maximilian Gilleßen aufzeigt, werden die einzelnen Beobachtungen durch Ortsangaben und -adverbien miteinander verknüpft, ergeben also ein ideales Ganzes. Das ungefähr zur selben Zeit entstandene Stück La Seine mit seinen Hunderten von Rollen verrät ebenfalls den Ehrgeiz einer panoramatischen Erfassung. – Stefan Ripplinger

Literatur / Quellen:

  • Roussel, Raymond: Der Anblick. Das Konzert. Die Quelle, Berlin: zero sharp 2022
  • Gilleßen, Maximilian: R.R. Zur Poetik Raymond Roussels, Leipzig: Merve 2024, S. 162 f.,

176 f.

Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Buch, Ekphrasis, fiktional, Foto, Gesamtprojektion, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Mikropanoramatik, mimetisch, offen, Panorama-Beschreibung, panoramatische Erzählung, symbolisch, Text, textuell, Unterhaltung, Zugleichspräsentation

1897 – Gebrüder Lumière, Filmpanorama-Luftaufnahme in Panorama pris d’un ballon captif

Die erste filmische Luftaufnahme findet sich in dem einminütigen Panorama pris d’un ballon captif (FR 1897/1898), einer Produktion der Gebrüder Lumière. Aus der Perspektive eines aufsteigenden Ballons sind eine verwackelte, kleiner werdende Menschenmenge sowie Straßen und Dächer zu sehen. Die Vertikalität des Blickes und das Fehlen einer Horizontlinie eröffnen im Gegensatz zur Alltagswahrnehmung eine ungewohnte und deutlich abstraktere Sicht auf die abgebildete Realität. Luftaufnahmen werden nicht nur durch die technischen Bedingungen des Flugobjektes (Ballon, Flugzeug, Hubschrauber, etc.) ermöglicht, sondern auch von ihrem jeweiligen Bewegungsmodus geprägt. Heutzutage können reale Draufsicht-Bilder durch ferngesteuerte Drohnen oder Satelliten aufgenommen werden. Der militärische Kontext, in dem Luftaufnahmen oftmals entstehen und zum Einsatz kommen, ist integraler Bestandteil ihrer Entwicklungsgeschichte. Dieser ist indirekt auch in En dirigeable sur les champs de bataille (FR 1919) präsent. Der Film basiert auf einer in den Jahren 1918–19 aufgenommenen Serie von Luftaufnahmen, gedreht von Lucien Le Saint, einem im kinematografischen Dienst der französischen Armee stehenden Kameramann. Sie dienen der filmischen Kartografierung der im Ersten Weltkrieg zerstörten Gebiete für den Wiederaufbau. Die von einem Ballon aus aufgenommenen, schräg zum Boden gerichteten und ständig bewegten Bilder zeigen ein Panorama der versehrten französischen und belgischen Städte und Landschaften. Der Blick von oben, der im Krieg zur Feindaufklärung, Planung und Durchführung militärischer Operationen funktionalisiert wurde, bezeugt und dokumentiert hier die Folgen der Zerstörung. – Johannes Noss

Literatur / Quellen:

  • Castro, Teresa: „Aerial views and cinematism“. In: Seeing from above: The aerial view in visual culture, hg. von Mark Dorrian und Frédéric Pousin, London: Bloomsbury 2013, S. 118–133, S. 118–133

Weblinks:

🖙 Panorama pris d’un ballon captif
🖙 YouTube: En Dirigeable sur les champs de bataille (1918) – Ausschnitt

Schlagwörter: Ästhetik, bildvisuell, Didaktik, Draufblick, faktual, Fernblick, Film, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Organisation, Panoramabild, Panoramaflug, Überwachung, Unterhaltung, Zugleichspräsentation

1897 – Gebrüder Lumière, Panoramaeinstellung in Panorama du casino pris d’un bateau

Die Panoramaeinstellung (auch Panoramaaufnahme, Supertotale) ist die Einstellungsgröße mit dem weitesten Aufnahmewinkel. Oft werden dabei ausgedehnte Landschaften oder Städte gezeigt; Figuren sind kaum oder gar nicht zu erkennen. In die größtmögliche Distanz gesetzt, erhält das Publikum einen räumlichen Überblick und die nötige Orientierung zum Verständnis eines Geschehens. Panoramaeinstellungen, die in den unterschiedlichsten Gattungen und Genres vorkommen, finden sich bereits bei den Gebrüdern Lumière. So besteht Panorama du casino pris d’un bateau (FR 1897) aus einer horizontalen Seitwärtsbewegung (Traveling Shot), die an ein Moving-Panorama erinnert und von einem fahrenden Boot aus gefilmt wird. Am Kanalufer sind vorbeiziehende Häuserfassaden der Stadt Nizza zu sehen sowie in die entgegengesetzte Richtung fahrende Boote. Ein außergewöhnliches Beispiel liefert der Film 13 Lakes (USA 2004, R: J. Benning), der die besagten 13 Seen in 10-minütigen statischen Panoramaeinstellungen aneinanderreiht, kontinuierlich durchzogen von der Horizontlinie, die Wasser und Himmel voneinander trennt. Der minimalistische Film nimmt sich Zeit für unscheinbare, stetige Bewegungen und Texturveränderungen: der Wolken im Himmel oder des Wassers im See. Zeitlichkeit wird erfahrbar gemacht. Durch seine Dauer und Statik verweist das Bild auf das als Leerstelle fungierende unsichtbare Äußere, aus dem das Wasser in den Bildrahmen hinein und hinaus fließt. Somit zeigen die Panoramaaufnahmen in 13 Lakes auf, dass das panoramatische Ideal der Allschau von keiner Panoramaaufnahme erfüllt werden kann. – Johannes Noss

Literatur / Quellen:

  • Panse, Silke: „Ten Skies, 13 Lakes, 15 Pools – Structure, Immanence and Eco-Aesthetics in ‚The Swimmer‘ and James Benning’s Land Films“. In: Screening Nature: Cinema Beyond the Human, hg. von Anat Pick und Guinevere Narraway, New York/Oxford: Berghahn 2013, S. 37–59, S. 37–59
  • Mikos, Lothar: Film und Fernsehanalyse, München: UVK Verlag 2023, S. 234

Weblinks:

🖙 Filmlexikon Kiel: Weite Aufnahme
🖙 YouTube: Panorama du casino pris d’un bateau (1897)

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1889 – Alfred Stevens/Henri Gervex, Panorama de l’histoire du siècle

Genau 100 Jahre nach der Französischen Revolution präsentieren Alfred Stevens und Henri Gervex als Attraktion ihr heute nicht mehr erhaltenes Panoramarundbild mit dem Titel Panorama de l’histoire du siècle (Geschichte des Jahrhunderts) auf der Weltausstellung. Über eine Länge von 120 m im Rund präsentiert es 640 Persönlichkeiten, welche die Geschichte Frankreichs seit 1789 geprägt haben. Als imaginäre Stadtgesellschaft positionieren sich die Figuren in Pariser Kulisse, locker zu Gruppen gefügt. Ein Begleitheft liegt aus, mit dem die Figuren identifiziert und auch die historischen Entwicklungen in pointierter Form nachgelesen werden können. Das Panorama ist ungewöhnlich, da es kaum Handlung oder Landschaftsausblick zeigt, sondern eine Versammlung von Porträts historischer Persönlichkeiten, die allerdings mit den Mitteln des Panoramas gleichsam in einen Raum beziehungsweise unter einen gemeinsamen Himmel gebracht werden, als hätten sie sich tatsächlich begegnen können. Trotzdem existieren in dieser Illusion eines Raums verschiedene Zeiten, denn die Personen tragen historisches Kostüm und die Figurengruppen sind im Kreis chronologisch angeordnet. Aufgrund der Rundform mussten die Künstler das Problem lösen, dass es eine Stelle im Bild gibt, an welcher Beginn (1789) und Gegenwart (1889) sich treffen – in dieser Zone platzieren sie „als Bindestrich zwischen den Jahrhunderten“ den Dichter Victor Hugo, einsam an den steinernen Sockel einer Allegorie Frankreichs gelehnt. – Clara Wörsdörfer

Literatur / Quellen:

  • Geimer, Peter: Die Farben der Vergangenheit. Wie Geschichte zu Bildern wird, München: C. H. Beck 2022

Weblinks:

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Schlagwörter: 360°, Ästhetik, Bauwerk, Bild, bildvisuell, Denkmal, Diagramm, Didaktik, Enzyklopädie, faktual, Gemälde, Gemälderundbau, Gesamtkompendium, Gesamtprojektion, geschlossen, Großtableau, Medialpanoramatik, mimetisch, offen, Panoramabild, Rundband, Rundbau, schematisch, Unterhaltung, Zeitensynopse, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

1889 – Eiffelturm


Von Gustave Eiffel in Paris, Champs des Mars, für die Weltausstellung erbautes Wahrzeichen zur Erinnerung an den 100. Jahrestag der Französischen Revolution. Die Aussichtsplattformen der drei Ebenen des 324 m hohen Bauwerks bieten einen Panoramablick auf die Metropole. Die höchste Aussichtsplattform befindet sich in 276,13 m Höhe. Die im vorangegangenen Ausschreibungswettbewerb gegen Eiffels Entwurf unterlegene Alternative von Jules Bourdais, der 1876 den Trocadéro-Palast erbaut hatte, wäre als elektrischer Leuchtturm (Colonne Soleil), der die Stadt auch nachts von oben her hätte erhellen und ausleuchten sollen, unter panoptischen Gesichtspunkten noch spektakulärer gewesen. – Sarah Karsten | Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Heinle, Erwin/Leonhardt, Fritz: Türme aller Zeiten – aller Kulturen, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1988, S. 214–220
  • Lemoine, Bertrand: Gustave Eiffel. The Eiffel Tower. The Three-Hundred-Metre Tower, Köln: Taschen 2021

Weblinks:

🖙 Website Eiffelturm
🖙 Modell Colonne Soleil

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