
Allgemein stellvertretend für die Kulturtechnik des Ewigen Kalenders, der die jahresübergreifende Bestimmung aller Wochentage und ggf. wichtiger Festtermine erlaubt, präsentiert sich das graubündener Diagramm – gleich vielen historischen Realisationen bis in die Sowjetzeit hinein – speziell in kompass-artig geschlossener Rundform. Einen noch weiteren, weil kalenderreformübergreifenden Ausblick auf die Wochentagsfolge in Vergangenheit wie Zukunft bietet dagegen das (wie das Eintragsbeispiel im betreffenden Wikipedia-Artikel/Stand 2024) dokumentierte Zeilen/Spalten-Diagramm von Karl Nimtsch, das den Julianischen und den Gregorianischen Kalender synthetisiert. – Johannes Ullmaier
1655 – Pedro Calderón de la Barca, El gran teatro del mundo
Das mutmaßlich um 1635 entstandene Mysterienspiel (dt. Das große Welttheater) entwirft ein zeitgenössisches Gesamtbild der menschlichen Lebens- und Ständeordnung. Zu Beginn der Handlung tritt der All-Schöpfer (in Eichedorffs klassischer Übersetzung „Der Meister“) auf, der auf dem – als „Die Welt“ ebenfalls zur Sprechrolle personifizierten – Theater des irdischen Diesseits die Rollen verteilt. Jede davon verkörpert eine bestimmte Funktion im christlich-feudalen Weltgefüge. Die Bühne symbolisiert die Struktur des menschlichen Daseins sowohl räumlich wie zeitlich, letzteres konkret mit einem Tor für den Ein- bzw. Auftritt (die Wiege für die Geburt) und einem Tor für den Abgang (das Grab für den Tod). Jeder Schauspieler bekommt für seine Rolle die nötigen Utensilien bereitgestellt, realisiert seine Funktion in der Welt und reagiert so, wie es seine sittlichen und sozialen Lebensumstände bedingen. Der Arme bittet etwa um Almosen, die der Reiche ihm verwehrt. Allerdings müssen alle Spieler (spezifische Frauenrollen gibt es hier nicht) alles, was ihnen für ihr Lebensschauspiel eingangs zugefallen ist, am Ende wieder abgeben. Jeder Mensch verlässt die Bühne so, wie er sie betreten hat. – Jana Keim | Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Calderón de la Barca, Pedro: El grand teatro del mundo / Das große Welttheater, Stuttgart: Reclam 2012
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ca. 1575 – (Anonym.) Heiligentafel (Landesmuseum Mainz)

Das Heiligenbild eines anonymen deutschen Meisters zeigt eine Vielzahl verschiedener Heiligenlegenden. Es wird auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts datiert. Aus der Vogelperspektive ist eine allegorisch strukturiere Landschaft mit Heiligen und Märtyrern dargestellt. Ihre Geschichten werden teils durch Attribute, teils durch charakteristische Szenen angedeutet. In der Mitte des Bildes ist die Heilige Ursula auf einem Schiff zu sehen. Ein äußerer Kreis von 116 Heiligen, jeweils mit Heiligenschein, umgibt die Szenerie. Im inneren Kreis herrscht hingegen keine erkennbare Ordnung, sondern er erinnert an die Wimmelbilder von Bosch. Die vier Ecken des Bildes zeigen markante Stationen aus Heiligenlegenden, darunter auch aus dem Leben Jesu Christi und seiner Begleiter:innen. Der Fokus liegt eher auf Vollständigkeit und Übersicht über die Heiligen als auf einer realistischen Darstellung. Erstrebt ist eine schematische Gesamtregistratur in Bildform. – Antje Schilling
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ca. 1567 – Pieter Bruegel d.Ä., Die Bauernhochzeit

Das Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren [Öl auf Holz, 114×116 cm] stellt eine bäuerliche Hochzeitsgesellschaft in Flandern Ende des 16. Jahrhunderts im realistischen Stil dar. Dem Maler wird nachgesagt, sich oft verkleidet auf Bauernhochzeiten eingeschlichen zu haben, um sie zu studieren. Am äußeren rechten Bildrand ist sein Freund Hans Franckert abgebildet, der ihn dabei begleitet haben soll. Das Augenmerk wird zunächst auf zwei Männer im Vordergrund gelenkt, die mit Speisen gefüllte Teller an die lange Festtafel tragen. In vorwiegend warmen Gelb- und Brauntönen werden die Gäste dargestellt, die essen, sich miteinander unterhalten oder sich nach jemandem umdrehen. Die Braut, gekennzeichnet durch eine über ihr hängende Krone, hält die Augen geschlossen und die Hände über dem Bauch gefaltet. Unten links im Gemälde füllt ein Mann leere Krüge, daneben sitzt ein Kind auf dem Boden und hält einen leer gegessenen Teller in den Händen. Die Masse an Menschen und verschiedenen Aktionen erinnert an ein Wimmelbild. Neben dem Festtisch stehen zwei Musiker, dahinter steuern ankommende Gäste durch eine offene Tür in den Raum auf den Tisch zu. Sie geben einen weiteren deutlichen Hinweis auf die Darstellung verschiedener Teilgegenwarten. Bruegels Eigenart, „Bilder aus extrem vielen Einzelszenen zusammenzusetzen“, kommt hier zur Geltung (Müller, Bild und Zeit, S. 72). Mit seinem Gemälde versucht Bruegel, alle Phasen des Fests in einem einzigen Moment zu synthetisieren. Seine Herangehensweise unterscheidet sich beispielweise von seinem Gemälde Kinderspiele dadurch, dass den Figuren durch unterschiedliche Größe und Platzierung eine bestimmte Wertigkeit zugewiesen wird und der Zuschauer einen Anhaltspunkt vorgeschlagen bekommt, in welcher Reihenfolge er die Details wahrnehmen kann. Dagegen erzeugt Kinderspiele mit seinen unzähligen kleinen, gleich großen Figuren eine gewisse Überforderung. „Es ist kaum möglich, den Blick auf dem Bild in seiner Gesamtheit ruhen zu lassen, er wird ständig hin- und hergeschickt.” (Wörsdörfer, Alle im Blick, S. 404). Die Kinderspiele zeigen neunzig unterschiedliche Spiele in einem Bild. In der Bauernhochzeit vereint Bruegel dagegen eine etappenweise Abfolge desselben Ereignisses zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Dass die Wimmelbild-Totalität auch als Entfremdung wahrgenommen werden kann, zeigt die Rezeption der Bauernhochzeit bei Hans Sedlmayr: „Die Wimmelbilderfahrung kennzeichnet hier der unheimliche Eindruck eines Verlusts von Beziehung, mit dem etwas Vertrautes, mithin das Menschsein selbst, fragwürdig wird.” (Wörsdörfer, Alle im Blick, S. 407) – Annika Bäurer
Literatur / Quellen:
- Müller, Jürgen: „Bild und Zeit. Überlegungen zur Zeitgestalt in Pieter Bruegels Bauernhochzeitsmahl“. In: Erzählte Zeit und Gedächtnis. Narrative Strukturen und das Problem der Sinnstiftung im Denkmal, hg. von Pochat und Götz, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 2005, S. 72–81.
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ca. 1530 – Giulio Camillo, Gedächtnistheater
In eigentümlicher Verknüpfung von antik-rhetorischer Mnemotechnik – insbesondere des ‚Ablegens‘ von zu Erinnerndem in einer Ortsstruktur – sowie renaissance-synkretistischer Hermetik ersinnt Giulio Camillo (ca. 1480–1544) ein Weltgesamterfassungsschema mit dem „ungeheueren Anspruch, […] das Universum durch einen Blick von oben, von den ersten Ursachen her, als ob er Gott wäre, in Erinnerung [zu] behalten.“ (Yates, Gedächtnis und Erinnern, S. 137). Auf diese Art könne „der Mikrokosmos […] den Makrokosmos ganz verstehen.“ (ebd.). Zwar bleibt eine bauliche Realisation seines Konzepts, das als aufsteigendes Halbrund-Theatrum gedacht ist, dem reisenden Gelehrten zeitlebens versagt, doch kann er Besuchern einen zimmergroßen Prototyp vorführen. Im Theaterbild entspricht die Anordnung sieben jeweils siebenreihigen Tribünensektoren, in denen aber nicht wie sonst das Publikum Platz findet, sondern sich Himmelskörper, Mythologeme, Sinnbilder, Elemente, Künste und Realien auf wundersame Weise zueinanderfügen, während die allüberschauende Instanz vorn auf der (statt wie sonst zuunterst) hier zuoberst imaginierten Bühne steht – mit Zentralblick wie von einer späteren Panorama-Plattform. (Yates, Gedächtnis und Erinnern, S. 381–392) Mangels Betriebspraxis gerät Camillos Gedächtnistheater jedoch bald in Vergessensheit. – Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Yates, Frances A.: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles und Shakespeare. [OA: The Art of Memory. 1966], 5. Aufl., Berlin: Akademie Verlag 1999, S. 123–149
- Camillo, Giulio: L’idea del theatro con L’idea dell’eloquenza, il De Transmutatione e altri testi inediti, Milano: Adelphi 2015
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ca. 1480 – Ulrich Füetrer, Buch der Abenteuer
Ulrich Füetrers sogenanntes Buch der Abenteuer, ein Auftragswerk im Dienst Herzog Albrechts IV. von Bayern, ist ein monumentales Ensemble von Bearbeitungen prominenter, z.T. aber auch nur peripher gewichtiger Dichtungen aus dem Gattungsbereich der Artus- und Gralsepik, dazu der Trojaerzählung Konrads von Würzburg als historischer Basierung. In 11655 Strophen zu je 7 Versen, also insgesamt 81585 Versen, wird das Sujet von den trojanischen Wurzeln über die Geschichte Parzivals und des Grals nach Wolfram von Eschenbach sowie dem Jüngeren Titurel erzählt; dazu kommen eine Erzählung über den Zauberer Merlin nach Albrecht von Scharfenberg, eine über Gawan, den traditionell prominentesten Artusritter, nach der Crone Heinrichs von dem Türlin und eine Lohengrin-Erzählung. Es folgen die Abenteuer von sieben einzelnen Rittern nach der Vorgabe von Artuserzählungen verschiedener, zum Teil unbekannter Autoren; am prominentesten ist die Geschichte Ibans nach dem Iwein Hartmanns von Aue. Die Schlusssequenz, die an Umfang den aller anderen Teilerzählungen zusammen übertrifft, bearbeitet den Prosa-Lancelot, ein bedeutendes Werk der nachklassischen Periode. Leitlinie ist die Lebensgeschichte Lannzilets, seine Kindheit, sein Erscheinen am Artushof, seine im Unterschied zur ehebrecherischen Beziehung im Posa-Lancelot dem Konzept des amor purus gemäß dem Liebestraktat des Andreas Capellanus bzw. der deutschen Übertragung durch Johannes Hartlieb verpflichtete Liebesbeziehung zur Königin Ginover, seine diversen Abenteuer. Die Handlung mündet in den eben wegen der fälschlich als Ehebruch inkriminierten Liebe ausbrechenden Krieg mit Artus, aus dem die Vernichtung des Artusreichs, der Tod des Königs und die Weltentsagung des Helden resultieren. In diese Erzählfolge ist, dem Prosa-Lancelot entsprechend, die Geschichte Galaads eingebettet, Lannzilets Sohn aus einer durch Täuschung herbeigeführten Vereinigung mit der Tochter des Gralskönigs. Mit Galaad wird ein neuer Gralsheld etabliert, mit dessen Tod der Gral selbst aus der Welt genommen wird.
Dieses chronikalische Gesamtkonzept eröffnet ein in der mittelalterlichen Epik beispiellos weit ausgreifendes Spektrum des Artus- und Gralsujets. Füetrer bemüht sich dabei, Widersprüche zwischen den einzelnen Teilen so weit wie möglich zu vermeiden. So eliminiert er das erfolgreiche Gralsabenteuer Gawans aus der Crone, welches dem Gralsheldentum Parzivals abträglich ist. Gleichwohl lassen sich Kohärenzbrüche zwischen den einzelnen Teilen nicht vermeiden. Insbesondere betrifft dies den Austausch des Gralshelden in der Lannzilet-Partie; nicht mehr Parzival, sondern seinem Sohn Galaad ist die finale Erfüllung des Abenteuers vorbehalten.
Füetrer fasst seine Intention, eine epische Totale zu schaffen, in die Metapher eines Baumes, bestehend aus Wurzel, Stamm, Ästen, Laub und Früchten. Formales Äquivalent dieser integrativen Intention ist das Strophenschema des Jüngeren Titurel als Bearbeitungsgrundlage aller Einzelerzählungen. Darüber hinaus haben die nach gleichem Grundmuster gestalteten Prologe zu den Teilwerken nicht nur gliedernde, sondern auch verklammernde Funktion, ebenso wie die Diskurse mit der Personifikation Frau Minne, in die sich der Erzähler an markanten Stellen verstrickt.
– Rudolf Voß
Literatur / Quellen:
- Voß, Rudolf: „Werkkontinuum und Diskontinuität des Einzelwerks – zum Ensemble von Ulrich Füetrers Buch der Abenteuer“. In: Cyclification. The Development of Narrative Cycles in the Chansons de Geste and the Arthurian Romances, hg. von Bart Besamusca, Willem P. Gerritsen, Corry Hogetoorn, u. a., Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen 1994, S. 221–227.
- Bastert, Bernd: „Zu Autor und Werk“. In: Ulrich Füetrer. Das Buch der Abenteuer, Teil 2, hg. von Heinz Thoelen, Göppingen: Kümmerle 1997, S. 533–599.
1469 – Scherzliger Passionspanorama
Das Passionspanorama von Peter Maler von Bern für die Kirche in Thun/CH bildet die Ereignisse der Passionsgeschichte über die gesamte Südostwand hinweg ab und ist das größte und älteste Passionspanorama des 15. Jahrhunderts. – Hannah Rex
Weblinks:
ca. 1000 – Ayahuasca-Panoramatik

Ayahuasca ist ein bewusstseinsverändernder Trank aus dem Amazonasgebiet, der von Schamanen aus der Ayahuasca-Liane und anderen Pflanzen hergestellt wird. Die Wirkung entsteht aus Sicht der Schamanen nicht aus der chemischen Zusammensetzung, sondern aus der Pflanzenseele. Entsprechend löse sich bei Einnahme auch bei Menschen die Seele vom Körper und könne frei umherwandeln, daher auch der Name („Ranke der Seele“). Ähnlich wie von LSD und anderen starken Halluzinogenen wird berichtet, mittels Ayahuasca ins Reich der Verstorbenen reisen, zukünftige Ereignisse vorhersehen oder gottgleiche Perspektiven auf die Welt erlangen zu können. Indes schwankt die Wirkung individuell sehr stark, Über- und Allschau-Erlebnisse sind keineswegs garantiert, gegebenenfalls jedoch sehr eindrücklich. – Caroline Klein | Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Bernard, G. William: Liquid Light: Ayahuasca Spirituality and the Santo Daime Tradition, New York City: Columbia University Press 2022
Weblinks:
ca. 900–999 – Josua-Rolle

Die im 10. Jahrhundert in Konstantinopel entstandene Schriftrolle zeigt auf 27 Bildern das Leben Josuas. Sie wird der kaiserlich-byzantinischen Hofschule, womöglich Konstantin VII., zugeordnet. Die 10 m lange Schrift befindet sich heute als Cod. Vat. Palat. gr. 431 in der Biblioteca Apostolica Vaticana. Es handelt sich um eine hagiografische Übersicht zum Leben Josuas zwischen Tableau und Laufrolle. Obwohl die Grisaillien von mehreren Händen erstellt wurden, ergeben sie eine zusammenhängende Erzählung. Ungewöhnlich ist, dass dieses Werk der byzantinischen Kunst auf die Form der antiken Schriftrolle zurückgreift und nicht als Codex umgesetzt wurde. Durch die Art der Präsentation ergibt sich ein panoramatischer Lebensüberblick. Zudem gehen die Szenen z. T. fließend ineinander über und zeigen mit Himmelskörpern Tag- und Nachtwechsel an. – Antje Schilling
Weblinks:
112–113 – Trajanssäule

35 m hohe Ehrensäule von 3,7 m Durchmesser für den römischen Kaiser Trajan (98–117). Auf deren 190 m langem Schraubenreliefband sind in 23 Rundwindungen wimmelbildartige Szenen aus zwei zeitgenössischen Eroberungsfeldzügen gegen die Daker in rahmenlos fortlaufender Aufwärts-Chronologie dargestellt. In seinem monumentalen Selbstverherrlichungs-Panorama erscheint Trajan unter den insgesamt etwa 2500 Figuren selbst 58 mal, mithin teils mehrfach zugleich. Anstelle der den Säulengipfel ursprünglich zusätzlich krönenden Trajanstatue steht seit 1587 eine Bronzestatue des Apostels Petrus. – Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Mithoff, Fritz/Schörner, Günther (Hgg.): Columna Traiani – Trajanssäule. Siegesmonument und Kriegsbericht in Bildern. Beiträge der Tagung in Wien anlässlich des 1900. Jahrestages der Einweihung, 9.–12. Mai 2013, Wien: Holzhausen 2017
- Stefan, Alexandre Simon (Hg.): Die Trajanssäule. Dargestellt anhand der 1862 für Napoleon III. gefertigten Fotografien. Mit einem Beitrag von Hélène Chew, Darmstadt: wbg / Philipp von Zabern 2020