1924 – Alexander Moszkowski, Das Panorama meines Lebens

In der Vorrede zu seiner Lebensbeschreibung entwirft der satirische Schriftsteller – passend zum Titel – ein panoramatisches Konzept von Autobiografie: „Mein Plan war, aus den Gegebenheiten meines Lebens etwas Größeres, Allgemeingültiges zu entwickeln. Es sollte ein Panorama werden, aber nicht auf einer Fläche vorübergleitend, sondern mit den optischen Möglichkeiten einer Universalschau. Wie eine silbern spiegelnde Glaskugel in einem Garten, die, für sich genommen, räumlich klein ist, aber mit ihren Reflexen weit in die Welt reicht bis ans Firmament. Hunderte von Leben würden sich dazu eignen, in dieser Weise zurecht geschliffen zu werden, um als Reflexträger des Allgemeinen, Weitgespannten zu wirken.“ – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Moszkowski, Alexander: Das Panorama meines Lebens, Berlin: F. Fontane & Co. 1925

Weblinks:

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Schlagwörter: Ästhetik, Buch, Denkmal, Didaktik, faktual, geordnet, Gesamtkompendium, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Panorama-Diskurs, symbolisch, Text, textuell, Universalchronik, Unterhaltung, Zeitensynopse

1922 – Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit

Das für ein „Marstheater“ geschriebene Stück, dessen ungekürzte Hörspielfassung (ORF 1974) 25 h dauert, erfasst mithilfe von 1114 Rollen in einem bösen Rundumblick den moralischen Bankrott der Wiener Gesellschaft im Besonderen und Europas im Allgemeinen. – Stefan Ripplinger

Literatur / Quellen:

  • Kraus, Karl: Die letzten Tage der Menschheit: Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog [1922], Salzburg: Jung und Jung 2014

Weblinks:

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Schlagwörter: Ästhetik, auditiv, bildvisuell, Buch, Denkmal, Didaktik, faktual, fiktional, geordnet, Gesamtkompendium, geschlossen, Großtableau, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, mimetisch, Organisation, panoramatische Erzählung, Rahmenexpansion, symbolisch, Text, textuell, Überbreite, Universalchronik, Unterhaltung, Wimmelbild

1920 – Jewgenij Samjatin, Wir

Im Jahr 1920 verfasst und infolge der rigorosen sowjetischen Zensur erst 1924 und nur im Tamizdat publiziert, schildert der dystopische Roman des russischen Schriftstellers Jewgenij Iwanowitsch Samjatin (1884–1937) ein aus technischem Fortschritt und damit einhergehendem Machbarkeitswahn resultierendes Gesellschaftssystem des entindividualisierenden Totalitarismus. Von der Außenwelt durch eine Mauer getrennt, führen die Bewohner ein in allen, auch privaten, Belangen minutiös reglementiertes Leben als Nummern und in einheitlichen Uniformen. Sie leben in kubischen Wohnblöcken aus Glas, deren Transparenz sie allseits diszipliniert. Samjatins extrapolierende Überzeichnung der zeitgenössischen Sowjetdiktatur nimmt in der Diegese auch deren Zusammenbruch vorweg, wodurch sie zugleich zur allgemeinen Allegorie auf die panoptische Hybris des Menschen wird. Samjatins Werk inspiriert in der Folge maßgeblich heute bekanntere Dystopien wie Aldous Huxleys Brave New World (1932) und George Orwells 1984 (1949). – Violetta Xynopoulou

Literatur / Quellen:

  • Leucht, Robert: Dynamiken politischer Imagination. Die deutschsprachige Utopie von Stifter bis Döblin in ihren internationalen Kontexten 1848–1930, Berlin/Boston: De Gruyter 2016
  • Samjatin, Jewgenij: Wir [1920/24], Köln: Kiepenheuer & Witsch 1958
  • Schneider, Manfred: Transparenztraum. Literatur, Politik, Medien und das Unmögliche, Berlin: Matthes & Seitz 2013, S. 253–256

Weblinks:

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Schlagwörter: Allwahrnehmung, Ästhetik, Blicktransparenz, Buch, Didaktik, fiktional, Gesamtprojektion, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, mimetisch, Organisation, Realpanoramatik, symbolisch, Technik, Text, textuell, Überwachung, Unterhaltung, Utopie/Dystopie, visuell, Zugleichspräsentation, Zugriffspräsentation

1913 – Telefon-Splitscreen in Suspense

Der Kurzfilm Suspense (USA 1913, R: Lois Weber/Phillips Smalley) gilt als frühes Beispiel für die innovative Verwendung eines Splitscreens im Film. Die filmische Form multipler Rahmung hat bildstatische Vorläufer in den Diptychen, Triptychen und Polyptychen der mittelalterlichen Tafelbildmalerei. Während der spannungsgetriebenen Erzählung des Films inszeniert dieser zwei Telefonate anhand eines dreigeteilten Bildes. Während die Ehefrau ihren Mann am Telefon um Hilfe ruft, sieht man im dritten Bild den Einbrecher an der Tür. Die Inszenierung des Telefonats im Splitscreen setzt sich bereits in den 1900er- und 1910er-Jahren im Stummfilm durch und ermöglicht die gleichzeitige Darstellung von räumlich getrennten Ereignissen. Der Splitscreen kann als Reaktion auf mediale technische Veränderungen betrachtet werden: das Telefonat (frühe Stummfilmzeit), das Fernsehen (1960er) und die Digitalisierung/das Internet (seit den 1990ern). – Kaim Bozkurt

Literatur / Quellen:

  • Hagener, Malte: „The Aesthetics of Displays: How the Split Screen Remediates Other Media“. In: Refractory. A Journal of Entertainment Media 14 (2008)

Weblinks:

🖙 Youtube: Suspense (1913)

Schlagwörter: Ästhetik, bildvisuell, fiktional, Film, Gesamtdiagramm, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Rahmenexpansion, schematisch, Technik, Unterhaltung, Zugleichspräsentation

1913 – Blaise Cendrars, La Prose du Transsibérien et de la Petite Jehanne de France

Avantgardeprogrammatisch unternimmt das von Sonia Delaunay illustrierte Leporello die simultanistische Ausbreitung der Buch-/Textform zur Tableau-Text/Bild-Fläche, die in freien Versen und konstrastiven Farbkonstellationen eine imaginative Bewegung auf der (real erst 1916 fertiggestellten) Reisestrecke präsentiert. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Cendrars, Blaise: La Prose du Transsibérien et de la petite Jehanne de France, Paris: Les Hommes nouveaux 1913

Weblinks:

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Schlagwörter: (Aus-)Faltung, Ästhetik, Bild, bildvisuell, Buch, Ekphrasis, fiktional, geordnet, Gesamtprojektion, Großtableau, Laufpräsentation, Leporello, Medialpanoramatik, mimetisch, Moving Panorama, panoramatische Erzählung, Rahmenexpansion, schematisch, symbolisch, Text, textuell, Überbreite, Zeichnung, Zeitensynopse, Zugleichspräsentation

1913 – Max Brod, Essay Panorama

Unter den 33 Essays der im Kurt Wolff Verlag veröffentlichten Sammlung Über die Schönheit häßlicher Bilder widmet einer sich speziell dem Panorama. Darin bezeichnet Brod die Panoramen, insbesondere das Kaiserpanorama, als Sinnbilder für das Streben der modernen Menschheit nach Überblick, Ordnung und Ganzheit, während sie zugleich die fragmentarische und widersprüchliche Natur der Wahrnehmung offenbarten. Für Brod verkörpert das Panorama die Schönheit der Distanz, die jedoch das Detail und die Nähe leicht übersehen könne. Daher bleibt für ihn fraglich, inwieweit der panoramatische Blick nicht die Tiefe des Erlebens oder die emotionale Verbindung zum Gesehenen beeinträchtige. Im Gegensatz zu Hermann Brochs und Walter Benjamins Panorama-Zugängen, die eher das Kollektive und Historische betonen, legt Brod den Fokus auf die individuelle Wahrnehmung und die daraus resultierenden Spannungen zwischen Sehnsucht und Enttäuschung. Während Benjamin die Panoramen als Sinnbilder für die Phantasmagorien des Kapitals und Broch sie als Ausdruck gesellschaftlicher Dekadenz interpretiert, erkennt Brod im Kaiserpanorama die Möglichkeit einer persönlichen Reflexion über die Grenzen des Sehens. Dabei vermittelt er diesen Ansatz mit der von Karl Rosenkranz entworfenen Ästhetik des Häßlichen (1853), indem er hervorhebt, wie das Panorama auch das Nicht-Schöne und Ungeordnete sichtbar machen könne. So exemplifiziert der Text die panoramatische Methode von Brods Sammlung insgesamt, in der philosophische Reflexion und ästhetische Analyse zu einem umfassenden kulturellen Bild verwoben werden. – Felix Klopsch

Literatur / Quellen:

  • Brod, Max: Über die Schönheit häßlicher Bilder. Essays zu Kunst und Ästhetik [1913], Göttingen: Wallstein 2014, S. 64–70

Weblinks:

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Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Buch, Denkmal, Ekphrasis, faktual, fiktional, geschlossen, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Medientechnik, mimetisch, Moving Panorama, Panorama-Beschreibung, Panorama-Diskurs, Panoramabild, panoramatische Diskursform, Rundband, Rundbau, Text, textuell, Unterhaltung

1912 – Borodino-Schlachten-Panorama


Zum hundertjährigen Jubiläum der Schlacht von Borodino schafft Franz Roubaud ein monumentales Panoramagemälde, das seit 1962 in einem eigenen Museums-Rundbau in Moskau präsentiert wird. Ausgangspunkt für die DDR-Planungen des künftigen Bauernkriegspanoramas in Bad Frankenhausen. – Johannes Ullmaier

Weblinks:

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Schlagwörter: 360°, Ästhetik, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, faktual, Fernblick, Gemälde, Gemälderundbau, Gesamtprojektion, geschlossen, Immersion, Medialpanoramatik, mimetisch, Panoramabild, Rundband, Rundbau, Unterhaltung, Wimmelbild, Zentralblickpunkt, Zugleichspräsentation

1909 – Robert Delaunay, , Bildserie Tour Eiffel


In einer Vielzahl variierender Anläufe versucht der französische Maler Robert Delaunay, eine bild-künstlerische 2D-Allansicht des Eiffelturms zu kreieren, die dem panoramatischen Potenzial des Sujets entspricht. Die in den Jahren 1909 bis 1912 und 1920 bis 1928 entstehenden Bilder sind dem mit seiner Frau Sonia Delaunay-Terk begründeten Orphischen Kubismus zuzuordnen und zeigen das Bauwerk stets aus mehreren Blickwinkeln zugleich. – Sarah Karsten | Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Delaunay, Robert/Apollinaire, Guillaume: Les Tours Eiffel de Robert Delaunay, Paris/Brüssel: Jacques Damase 1974

Weblinks:

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Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Denkmal, faktual, Gemälde, Gesamtkompendium, Gesamtprojektion, Medialpanoramatik, mimetisch, offen, panoramatische Diskursform, schematisch, Technik, Unterhaltung, Zeitensynopse, Zugleichspräsentation

1904 – Kurd Laßwitz, Die Universalbibliothek

Dialogerzählung des Physikers und Mehrwelten-Sci-Fi-Pioniers (Auf zwei Planeten, 1897), in der das vielfach präfigurierte Konzept einer Bibliothek aller kombinatorisch möglichen Bücher – hier mit bis zu 500 Seiten Umfang – durchgespielt und deren Größe als zwar endlich, doch für das reale Universum viel zu groß erkannt wird; nimmt das Kernmotiv von Jorge Luis Borges’ Bibliothek von Babel vorweg, setzt aber andere Akzente. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Laßwitz, Kurd: „Die Universalbibliothek“ [1904]. In: Nie und Immer, hg. von Kurd Laßwitz, Lüneburg: Dieter von Reeken 2009

Weblinks:

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🖙 Wikipedia zu Laßwitz

Schlagwörter: (Aus-)Faltung, Ästhetik, Bauwerk, Buch, Didaktik, fiktional, geordnet, Gesamtarchiv, Gesamtdiagramm, Gesamtkompendium, geschlossen, Idealpanoramatik, Inhaltspanoramatik, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Organisation, schematisch, Speicher, symbolisch, Text, textuell, unbegrenzte Allheit, Unterhaltung, Utopie/Dystopie, Zugriffspräsentation

1903 – Raymond Roussel, La Vue

Die Behauptung des aus über 2000 Alexandrinern bestehenden Werks La Vue (dt. Der Anblick/Der Blick) ist, dass es die Fotografie eines Strandpanoramas beschreibt, die in der als Lupe dienenden Glaskugel eines Souvenir-Füllfederhalters eingelassen ist. Wie der Roussel-Spezialist Maximilian Gilleßen aufzeigt, werden die einzelnen Beobachtungen durch Ortsangaben und -adverbien miteinander verknüpft, ergeben also ein ideales Ganzes. Das ungefähr zur selben Zeit entstandene Stück La Seine mit seinen Hunderten von Rollen verrät ebenfalls den Ehrgeiz einer panoramatischen Erfassung. – Stefan Ripplinger

Literatur / Quellen:

  • Roussel, Raymond: Der Anblick. Das Konzert. Die Quelle, Berlin: zero sharp 2022
  • Gilleßen, Maximilian: R.R. Zur Poetik Raymond Roussels, Leipzig: Merve 2024, S. 162 f.,

176 f.

Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Buch, Ekphrasis, fiktional, Foto, Gesamtprojektion, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Mikropanoramatik, mimetisch, offen, Panorama-Beschreibung, panoramatische Erzählung, symbolisch, Text, textuell, Unterhaltung, Zugleichspräsentation