Das Markenzeichen der 1929 in Matsumoto, Japan, geborenen Künstlerin sind ihre Polka Dots, farbige Punkte, die sie auf Leinwänden, Skulpturen, Menschen, ja im Prinzip überall anbringt. Ebenso einschlägig sind jedoch ihre Installationen und Performances. Kusamas bekannteste Installationsform sind die „Infinity Rooms“. Im Laufe ihrer Karriere hat sie mehr als zwanzig dieser „Unendlichkeitsräume“ geschaffen, jeden mit einer anderen Thematik bzw. einem anderen Titel (z. B. Phalli’s Field, Love Forever oder Aftermath Of Obliteration Of Eternity). The Souls Of Millions Of Light Years Away aus dem Jahr 2013 ist einer ihrer größten Räume: Wände, Decke und Boden sind mit Spiegeln ausgekleidet, eine kleine Anzahl von LED-Leuchten erhellt die Szenerie in verschiedenen Farben. Ähnlich wie Sterne in einer unendlich erscheinenden Galaxie reflektieren die Lichter in den Spiegeln, multiplizieren sich und schaffen in dieser immersiven Umgebung eine rekursive Illusion. Je weiter man in den Raum ‚hineinschaut‘, desto dichter wird die Lichterdecke, bis die Farben Grün und Weiß verschmelzen. Von allen Seiten umschlossen, tauchen die Eintretenden in diese künstliche Sternengalaxie ein, wodurch ein allumfassender, grenzenloser Schauradius suggeriert wird. – Nele Schön
2013 – Alain Connes u.a., Le théâtre quantique
Die Protagonistin des Romans ist in der Lage, die Welt in Gänze zu ‚schauen‘: „Ich hatte das unerhörte Glück, eine globale Wahrnehmung meines Seins zu erfahren, nicht in einem bestimmten Moment seiner Existenz, sondern als ein ‚Ganzes‘.“ Diese Fähigkeit geht verloren, sobald die Welt als zeitlich strukturierte in den Blick gerät: „Ich hatte den Eindruck, die ganze unendliche Information zu verlieren, die mir das Schauspiel der Quanten vermittelte, und dieser Verlust genügte, um mich unabwendbar in den Strom der Zeit hineinzureißen.“ (Zitiert nach Rovelli, Die Ordnung der Zeit, S. 119). – Bernd Klöckener
Literatur / Quellen:
- Connes, Alain/Chéreau, Danye/Dixmier, Jacques: Le Théatre quantique, Paris: Odile Jacob 2013
- Rovelli, Carlo: Die Ordnung der Zeit, Reinbek: Rowohlt 2018
2005 – Google Earth

Nach zahlreichen Vor- und Parallelentwicklungen von Google eingekaufte und prominent implementierte Computersoftware, welche die Erde (quasi-)dreidimensional abbilden und verschiedene Sichtabstände bzw. Ausschnitte skalieren kann. Von der Herstellerfirma selbst als „der genaueste Globus der Welt“ beschrieben, eröffnet Google Earth nominell allen die Möglichkeit, die gesamte Erdoberfläche zu erkunden. Mittels sogenannten Geobrowsings kann die Ansicht frei gewählt und an beliebige Orte herangezoomt werden. Teilweise ist zusätzlich eine 3D-Ansicht verfügbar. Die ‚Kameraführung‘ wird dabei dem menschlichen Blick nachempfunden, sodass das Erkunden über Google Earth ein immersives Erlebnis verspricht. Wird nicht die 3D-Ansicht gewählt, kann man den Globus mithilfe des Cursors bewegen, um sich bestimmte Ziele anzuschauen. Die 2D-Darstellung wird aus Luft- und Satellitenbildern generiert, die beim Hereinzoomen engmaschiger aufgefaltet werden. Nutzer können so Städte und Landschaften sowie deren Koordinaten einsehen. Die Ansicht kann beliebig ausgerichtet werden, orientiert sich aber in der Grundeinstellung automatisch an einem kompass-genordeten Blickwinkel. Wer weit genug herauszoomt, kann die ganze Erde in Globalansicht erblicken. 2019 wird bekanntgegeben, dass Google Earth inzwischen mehr als 97 % der Welt abdecke. Unausweichlich expandiert das Sehbegehren seither weiter in Richtung Google Sky, Google Mars und Google Moon. – Stephan Klose | Hannah Bartölke | Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Abend, Paolo/Thielmann, Tristan: „Die Erde als Interface. Ein Google Earth-Rundgang“. In: Raum als Interface, hg. von Annika Richterbach und Gabriele Schabacher, Siegen: universi 2011, S. 127–143
Weblinks:
1983 – Stanislaw Lem, One Human Minute
Dt. Eine Minute der Menschheit. Panoramatische Erzählung über den gesamtmenschheitlichen Weltzustand im Zeitrahmen einer einzigen Minute; gattungsinnovativ gerahmt und komprimiert als Rezension eines weitaus umfangreicheren fiktiven Buchs, das diesen Zustand zum Thema haben soll. – Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Lem, Stanislaw: Eine Minute der Menschheit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983
Weblinks:
1981 – Michael Stearns, All-Hör-Erfahrungsbericht auf dem LP-Cover von Planetary Unfoldling

In den Backcover-Liner-Notes zu seiner all-kosmisch entgrenzten New-Age-Elektronik-LP berichtet Michael Stearns: „I had a dream about the Earth. In my dream the Earth wasn’t a solid mass, but a mass of sounds held together through resonance. Everything: atoms, cells, the Earth’s core, oceans, plants, animals and humans created a complex orchestration that kept unfolding on itself. The Earth was a being of sound. The sounds were of all times; it’s past life was mixed with sounds yet to be heard. I heard billions of voices and all the music ever created all at once.“ Bemerkenswert dabei die ebenso gleitende wie rapide Bewegung vom noch relativ begrenzten und generisch eingehegten Eingang des Statements – ein Traumbericht ‚nur‘ von der Erde – hin zur zeit-, wahrnehmungs- und bewusstseinsräumlich völlig entgrenzten Finalbehauptung, alle je geschaffenen Stimmen und Musiken zugleich (wirklich) gehört zu haben. Dass realakustisch beides gleich unmöglich ist, öffnet dem panoramatischen Expansionsbegehren rhetorisch unendlichen Freiraum – und findet in der aufsteigenden bzw. ‚öffnenden‘ Klanggestik vieler Passagen eine zwar rein symbolische und recht plakative, für pop-mystisch Empfängliche aber überaus beeindruckende Entsprechung. – Johannes Ullmaier
Weblinks:
ca. 1980 – Michel De Certeau, Blick vom World Trade Center
In seiner Kunst des Handelns beschreibt De Certeau den vom World Trade Center aus über New York City schweifenden Blick als Lektüreprozess: „Der Betrachter kann hier in einem Universum lesen, das höchste Lust hervorruft“, nämlich die, „diesen maßlosesten aller menschlichen Texte zu ‚überschauen‘, zu überragen und in Gänze aufzufassen.“ Dabei nehme der Betrachter eine quasi-göttliche, Ikarus-gleiche Position ein, wie sie die Malerei vorweggenommen habe: „Der Wille, die Stadt zu sehen, ist den Möglichkeiten seiner Erfüllung vorausgeeilt. Die Malerei des Mittelalters und der Renaissance zeigte die Stadt aus der Perspektive eines Auges, das es damals noch gar nicht gab. Die Maler erfanden gleichzeitig das Überfliegen der Stadt und den Panoramablick, der dadurch möglich wurde. Bereits diese Fiktion verwandelte den mittelalterlichen Betrachter in ein himmlisches Auge. Sie schuf Götter.“ (De Certeau, Kunst des Handelns, S. 179–182). – Bernd Klöckener
Literatur / Quellen:
- De Certeau, Michel: Kunst des Handelns, Berlin: Merve 1988
- Reiffers, Moritz: Das Ganze im Blick, Bielefeld: transcript 2013, S. 9–12
1977 – Cosmic Zoom in Powers of 10
Der naturwissenschaftsdidaktische Kurzfilm Powers of 10 (USA 1977, R: C. Eames/R. Eames) bewegt sich in einem Zoom bis zu den Enden des Makro- und des Mikrokosmos. Die Kamera blickt von oben auf eine Picknickszene und entfernt sich auf vertikaler Achse in die Höhe. Eine Erzählstimme erklärt, dass das Herauszoomen in Zehnerpotenzen erfolgt (10 m, 100 m, 1000 m, schließlich zehn hoch 24 m). Die aufeinanderfolgenden Bilder führen von den Straßen Chicagos über den Kontinent, die Erde, das Sonnensystem und die Milchstraße bis in die dunkle, leere Weite des Universums. An diesem Wendepunkt angelangt, zoomt der Film rasch zurück an den Ausgangspunkt und beginnt dann in die Haut des Mannes einzutauchen, der auf der Picknickdecke schläft: durch das Gewebe und die Zellen bis zur subatomaren Ebene, wo die virtuelle Kamera die Zoomrichtung erneut ändert und zur Ausgangsszene zurückführt. Da sich der kontinuierliche Zoom über verschiedene ineinanderlaufende Bilder bewegt, ist die dargestellte Welt virtuell und kein realer Raum. So stellt der Film durch sein spielerisches und didaktisches Verfahren für das menschliche Auge unsichtbare Orte dar und ermöglicht eine sukzessiv verlaufende, panoramatische Wahrnehmung der Proportionen des Universums. – Johannes Noss
Literatur / Quellen:
- Tollmann, Vera: Sicht von oben. „Powers of Ten“ und Bildpolitiken der Vertikalität, Leipzig: Spector Books 2023, S. 59–70
Weblinks:
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1975 – Michel Foucault, Surveiller et punir
In seinem Werk Surveiller et punir. Naissance de la prison (dt. Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses) beschäftigt sich Michel Foucault mit der Historie von europäischen Strafanstalten und stellt dabei die Frage nach den Machtmodellen und -techniken in den Mittelpunkt, die sich durch die neue bürgerliche Gesellschaft etablierten. Diese untersucht er mit Blick auf die Hypothese eines Bruchs von einer Souveränitäts- hin zu einer Disziplinargesellschaft, den er für das 18. Jahrhundert diagnostiziert und vor allem durch die Automatisierung, Entindividualisierung und die Unabhängigkeit von den jeweils Machtausübenden gekennzeichnet sieht, ferner durch eine Anordnung der Körper im Raum, welche die Individuen transparent mache. Indem sie ständiger Sichtbarkeit unterlägen, internalisierten sie das Machtverhältnis derart, dass es zum Prinzip der eigenen Unterwerfung werde. Dies geschehe vor allem im Rahmen disziplinierender Institutionen (Familie, Schule, Gefängnis, Fabrik etc.), die das sie durchlaufende Individuum normalisierten. Phänotypisch ausgeprägt sieht Foucault diese neue Gesellschaftsformation in Benthams Panopticon-Konzept, dessen „Panoptismus“ er ein eigenes Kapitel widmet. Zentral sei dabei die Uneinsehbarkeit der Macht bei gleichzeitiger permanenter Sichtbarkeit der Individuen: „Das Panopticon ist eine Maschine zur Scheidung des Paares Sehen/Gesehenwerden: im Außenring wird man vollständig gesehen, ohne jemals zu sehen; im Zentralturm sieht man alles, ohne je gesehen zu werden.“ (Foucault, Überwachen und Strafen, S. 259). – Nina Cullmann
Literatur / Quellen:
- Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses [1975], Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012, S. 251–292
Weblinks:
1969 – Rudolf Hausner, Gemälde Laokoon in der Umlaufbahn
Ein „All Seeing Eye“ im Himmel über dem Horizont, darin Laokoon, der als „störender Mahner“ gegen Weltraumeroberungsutopien „im Weltraum entsorgt“ worden sei (Berger/Beinert/Wetzel/Kehl, Bilder des Himmels, S. 111). – Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Berger, Klaus/Beinert, Wolfgang/Wetzel, Christoph u. a.: Bilder des Himmels. Die Geschichte des Jenseits von der Bibel bis zur Gegenwart, Freiburg i. B.: Herder 2006
Weblinks:
1964 – Kontrollüberwachungsraum in Dr. Strangelove
Die Entwicklung technischer Bildmedien führt dazu, dass die Aussichtsplattform oder der Kartenraum als traditionelle Dispositive der Macht und Kontrolle abgelöst werden durch die moderne, abgeschottete Überwachungszentrale, deren Vielzahl von Bildschirmen nun die Außenwelt repräsentiert. Vorangetrieben durch militärische und industrielle Ordnungssysteme sind Kontrollräume Ausdruck einer kybernetischen Weltanschauung. Interfaces in U-Booten, Schiffen oder Flugzeugen im Zweiten Weltkrieg stellen erste abstrahierte Repräsentationen dar zur besseren Kalkulation, Kontrolle und Steuerung. Die wachsende Rolle von Bildschirmen lässt den Kontrollraum ab den 1960er-Jahren zu einem reizvollen Handlungsraum für Filme verschiedener Genres werden, in dem sich das Medium in einer Art Mise-en-Abyme selbst bespiegelt. Dem Production Designer Ken Adam, der für viele James-Bond-Filme die geheimen Schaltzentralen der Mächtigen und Despoten entwirft, gelingt mit dem „War Room“ eine ikonische Darstellung in Stanley Kubricks Satire Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben, USA 1964). Die panoramatische Funktion der Bildschirme, die den Raum dominieren, dient hier zur Veranschaulichung der Absurditäten des Kalten Krieges. Dabei zeigen Diagramme und Grafiken die Auswirkungen eines atomaren Konfliktes. Die animierten Weltkarten auf den Screens bilden in Echtzeit die Flugrouten der Raketen im Luftraum der Sowjetunion ab. Humoristische Überspitzungen betonen die Irrationalität eines Atomkrieges. Das Filmpublikum kann gleichzeitig die Diskussion der Entscheidungsträger im War Room und die Repräsentation des Konflikts auf den Kontrollbildschirmen hinter ihnen sehen. Nachfolgende technische Entwicklungen führen in Filmen zu immer neuen Demonstrationen einer omnipotenten und postpanoptischen Überwachung in den politischen, militärischen oder ökonomischen Kontrollzentralen, wobei seit den 1990er-Jahren zunehmend digitale, virtuelle, satelliten- und drohnengestützte Repräsentationen den allumfassenden Blick erweitern. – Kaim Bozkurt
Literatur / Quellen:
- Deane, Cormac: „The Control Room: A Media Archaeology“. In: Culture Machine, https://culturemachine.net/vol-16-drone-cultures/the-control-room/, Datum des Zugriffs: 08.04.2024