1531 – Anton von Woensam, Kölner Stadtansicht


Das aus neun in Holzschnitttechnik gedruckten Blättern zusammengefügte Ortspanorama misst 59,2 × 352,6 cm und bietet eine „parallelperspektivisch komponierte weitwinklige Horizontalprojektion zentralperspektivischer Teilaufnahmen von mehreren Standorten“ (Weber, „Formen und Funktion älterer Panoramen“, S. 258). – Bernd Klöckener

Literatur / Quellen:

  • Weber, Bruno: „Formen und Funktion älterer Panoramen. Eine Übersicht“. In: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 42 (1985), H. 4, S. 257–268, S. 257–268

Weblinks:

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Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, faktual, Gesamtprojektion, Großtableau, Medialpanoramatik, mimetisch, Panoramabild, Überbreite, Unterhaltung, Zeichnung, Zugleichspräsentation

1530 – Niklas Meldeman, Rundansicht von Wien


Unter dem Titel Der stadt Wien belegerung, wie die auff dem hohen sant seffansthurn [sic!] allenthalben gerings um die gantze stadt, zu wasser vnd landt mit allen dingen anzusehen gewest ist veröffentlicht der Nürnberger Verleger Niklas Meldeman ein halbes Jahr nach der ca. dreiwöchigen Belagerung Wiens durch das türkische Heer (September/Oktober 1529) einen kolorierten Holzschnitt (81,2 × 85,6 cm), der ein Horizontalpanorama der Stadt zeigt. Um den Stephansdom herum sind die geografischen Gegebenheiten bis zum Wienerwald, dem Leithagebirge und den kleinen Karpaten dargestellt, und zwar als Schauplätze der ebenfalls abgebildeten kriegerischen Ereignisse, Gefechte und Truppenbewegungen. – Bernd Klöckener

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Schlagwörter: 360°, Ästhetik, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, Draufblick, faktual, Gemälde, Gesamtprojektion, geschlossen, Großtableau, Medialpanoramatik, mimetisch, Panoramabild, Rundbild, schematisch, Unterhaltung, Zugleichspräsentation

ca. 1515 – Joachim Patinir, Weltenlandschaft


Der in der Kunstgeschichte gebräuchliche Begriff der „Weltenlandschaft“, für den eine umfassende lexikalische Definition bislang aussteht, wird meist mit den Landschaftsbildern des Malers Joachim Patinir (um 1515) in Verbindung gebracht, aber auch für Bilder wie Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht (1528–29) oder Landschaft mit dem Sturz des Ikarus (um 1555–1568, Umkreis Pieter Bruegel d. Ä.) verwendet. Als spezifisch für das Erscheinen einer Landschaft als Weltenlandschaft kann laut Philine Helas gelten, dass hier der Betrachter in die Höhe katapultiert wird und wie ein Schöpfergott eine Überschaulandschaft erfassen kann (vgl. 1999, S. 32). Einer makroskopischen Perspektive steht eine mikroskopische gegenüber, die sich in unzähligen Details artikuliert und dabei wimmelbildartige Züge annehmen kann. Im Fall der Alexanderschlacht wird die historische Schlacht auf diese Weise in eine weltgeschichtliche Dimension gebracht. Sie vollzieht sich in einer teils phantastisch anmutenden Landschaft, die sich weit in die Ferne erstreckt, wobei der leicht gebogene Horizont die Vorstellung einer Weltkugel erahnen lässt. – Clara Wörsdörfer

Literatur / Quellen:

  • Helas, Philine: „Porträt und Weltenlandschaft“. In: Porträt – Landschaft – Interieur. Jan van Eycks Rolin-Madonna im ästhetischen Kontext, hg. von Christiane Kruse und Felix Thürlemann, Tübingen: Gunter Narr 1999, S. 31–49
  • Zinke, Detlef: Patinirs Weltlandschaft. Studien und Materialitäten zur Landschaftsmalerei im 16. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Lang 1977
  • Gibson, Walter S.: Mirror of the Earth. The World Landscape in 16th Century Flemish Painting, Princeton: Princeton University Press 1989

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🖙 Altdorfer, Alexanderschlacht

Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Fernblick, fiktional, Gemälde, Gesamtprojektion, Großtableau, Medialpanoramatik, mimetisch, Panoramabild, Wimmelbild, Zugleichspräsentation

1507 – Martin Waldseemüllers Weltkarte


Diese Weltkarte „markiert in mehrfacher Hinsicht einen epochalen Einschnitt: Zum einen schließt sie an die Antike an und gehört zu jenen Karten, in denen an der Wende zur Neuzeit die Erkenntnisse des Ptolemäus zur mathematischen Berechnung der Längen- und Breitengrade wieder erschlossen werden. Zum anderen verarbeitet sie das in ihrer Gegenwart durch Entdeckungsfahrten gewonnene Erfahrungswissen, das vor allem durch die Umrundung Afrikas durch die Portugiesen und die Entdeckung eines neuen Erdteils durch Kolumbus gewonnen worden war, zu einem völlig neuen Bild der Welt“. (Oswalt, Weltkarten – Weltbilder, S. 119) Zudem enthält sie erstmals die Bezeichnung „America“ (für den südlichen Teil der ‚Neuen Welt‘). – Bernd Klöckener

Literatur / Quellen:

  • Oswalt, Vadim: Weltkarten – Weltbilder. Zehn Schlüsseldokumente der Globalgeschichte, Stuttgart: Reclam 2015, S. 119–135

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Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Didaktik, Draufblick, faktual, Gesamtprojektion, Karte, Medialpanoramatik, Organisation, schematisch, Technik, Text, textuell, Überbreite, Weltkarte, Wissenschaft, Zugleichspräsentation

ca. 1495 – Hieronymus Bosch, Garten der Lüste


Triptychon des niederländischen Malers Hieronymus Bosch, heute im Museo del Prado in Madrid. Der Garten der Lüste ist auf der Mitteltafel des Triptychons zu sehen. In diskrepant separierter Zugleichsansicht zum linksseitigen Garten Eden und zur rechtsseitigen Marterhölle zeigt er das christliche Motiv des friedlichen Miteinanders sowie sexuelles Begehren. Typisch für Bosch sind dabei auch viele skurrile Tierwesen in der insgesamt farbenfrohen, wimmelbildartigen Welt. – Antje Schilling

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Schlagwörter: (Aus-)Faltung, Ästhetik, Bild, bildvisuell, CHRISTENTUM, Didaktik, Gemälde, geordnet, Gesamtprojektion, Großtableau, Leporello, Medialpanoramatik, mimetisch, Mythos/Religion, NIEDERLANDE, symbolisch, Überbreite, Wimmelbild, Zugleichspräsentation

1493 – Schedelsche Weltchronik


Illustrierte Weltchronik vom deutschen Historiker Hartmann Schedel, zeitgleich sowohl auf Deutsch wie auf Latein, d. h. ‚für alle‘, sprich: Gelehrte wie Laien, Einheimische wie Internationale, veröffentlicht. Gemäß der christlichen Geschichtsauffassung gliedert sich das Buch nach den sieben Weltaltern: von der Erschaffung der Welt bis zum Jahr 1493 und darüber hinaus bis zum künftigen Weltende, wobei neben biblischen und antiken Überlieferungen zunehmend auch neuere realgeschichtliche Personen, Orte und Ereignisse integriert werden. In der zeitgenössischen ‚Verlagswerbung‘ heißt es in phänotypischer panoramatischer Verheißung: „Wenn Du es liest, wird es dich, wie ich dir versprechen darf, derart fesseln, daß du die Abfolge aller Zeiten nicht zu lesen, sondern leibhaftig zu schauen glaubst […], und alles wird vor Deinen Augen zu leben scheinen“ (Schedel, Weltchronik [1493], S. 9). Die Holzschnitt-Illustrationen stammen u. a. von Michael Wolgemut, Wilhelm Pleydenwurff und Albrecht Dürer. Die Chronik enthält Stadtansichten, eine Europakarte sowie eine Weltkarte. Da der Kontinent Amerika erst nach Amerigo Vespuccis Bericht seiner Südamerika-Expedition 1501/1502 bekannt wurde, ist dieser in der Weltkarte noch nicht verzeichnet, worin sich die konstitutive Ungleichzeitigkeit von ideal disponierter Gesamtweltchronik und realem Gesamtweltbild bekundet. – Sarah Karsten | Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Schedel, Hartmann: Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493, Köln: Taschen 2001

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Schlagwörter: Ästhetik, Bild, bildvisuell, Buch, Denkmal, Diagramm, Didaktik, faktual, geordnet, Gesamtkompendium, Gesamtprojektion, geschlossen, Karte, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, mimetisch, Organisation, panoramatische Diskursform, schematisch, symbolisch, Text, textuell, Universalchronik, Unterhaltung, Weltkarte, Wissenschaft Mythos/Religion, Zugleichspräsentation, Zugriffspräsentation

1482 – Altar von Sevilla


Die Kathedrale von Sevilla beherbergt das mit 23 m Höhe und 20 m Breite größte, 1564 fertiggestellte Altarretabel der Welt. In der Gesamtansicht sind dessen 45 Reliefquader (mit Szenen aus dem Neuen Testament) kaum einzeln rezipierbar, in der Naherkundung geht der Überblick verloren. Früher Gipfel- und Grenzpunkt panoramatischer Tableau-Präsentation. – Johannes Ullmaier

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🖙 Altarfotos

Schlagwörter: Ästhetik, Bauwerk, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, Gesamtprojektion, Großtableau, Halbrundband, haptisch, KIRCHE, Medialpanoramatik, mimetisch, Mythos/Religion, Rahmenexpansion, schematisch, Skulptur, symbolisch, Überbreite, Zugleichspräsentation

ca. 1480 – Ulrich Füetrer, Buch der Abenteuer

Ulrich Füetrers sogenanntes Buch der Abenteuer, ein Auftragswerk im Dienst Herzog Albrechts IV. von Bayern, ist ein monumentales Ensemble von Bearbeitungen prominenter, z.T. aber auch nur peripher gewichtiger Dichtungen aus dem Gattungsbereich der Artus- und Gralsepik, dazu der Trojaerzählung Konrads von Würzburg als historischer Basierung. In 11655 Strophen zu je 7 Versen, also insgesamt 81585 Versen, wird das Sujet von den trojanischen Wurzeln über die Geschichte Parzivals und des Grals nach Wolfram von Eschenbach sowie dem Jüngeren Titurel erzählt; dazu kommen eine Erzählung über den Zauberer Merlin nach Albrecht von Scharfenberg, eine über Gawan, den traditionell prominentesten Artusritter, nach der Crone Heinrichs von dem Türlin und eine Lohengrin-Erzählung. Es folgen die Abenteuer von sieben einzelnen Rittern nach der Vorgabe von Artuserzählungen verschiedener, zum Teil unbekannter Autoren; am prominentesten ist die Geschichte Ibans nach dem Iwein Hartmanns von Aue. Die Schlusssequenz, die an Umfang den aller anderen Teilerzählungen zusammen übertrifft, bearbeitet den Prosa-Lancelot, ein bedeutendes Werk der nachklassischen Periode. Leitlinie ist die Lebensgeschichte Lannzilets, seine Kindheit, sein Erscheinen am Artushof, seine im Unterschied zur ehebrecherischen Beziehung im Posa-Lancelot dem Konzept des amor purus gemäß dem Liebestraktat des Andreas Capellanus bzw. der deutschen Übertragung durch Johannes Hartlieb verpflichtete Liebesbeziehung zur Königin Ginover, seine diversen Abenteuer. Die Handlung mündet in den eben wegen der fälschlich als Ehebruch inkriminierten Liebe ausbrechenden Krieg mit Artus, aus dem die Vernichtung des Artusreichs, der Tod des Königs und die Weltentsagung des Helden resultieren. In diese Erzählfolge ist, dem Prosa-Lancelot entsprechend, die Geschichte Galaads eingebettet, Lannzilets Sohn aus einer durch Täuschung herbeigeführten Vereinigung mit der Tochter des Gralskönigs. Mit Galaad wird ein neuer Gralsheld etabliert, mit dessen Tod der Gral selbst aus der Welt genommen wird.

Dieses chronikalische Gesamtkonzept eröffnet ein in der mittelalterlichen Epik beispiellos weit ausgreifendes Spektrum des Artus- und Gralsujets. Füetrer bemüht sich dabei, Widersprüche zwischen den einzelnen Teilen so weit wie möglich zu vermeiden. So eliminiert er das erfolgreiche Gralsabenteuer Gawans aus der Crone, welches dem Gralsheldentum Parzivals abträglich ist. Gleichwohl lassen sich Kohärenzbrüche zwischen den einzelnen Teilen nicht vermeiden. Insbesondere betrifft dies den Austausch des Gralshelden in der Lannzilet-Partie; nicht mehr Parzival, sondern seinem Sohn Galaad ist die finale Erfüllung des Abenteuers vorbehalten.

Füetrer fasst seine Intention, eine epische Totale zu schaffen, in die Metapher eines Baumes, bestehend aus Wurzel, Stamm, Ästen, Laub und Früchten. Formales Äquivalent dieser integrativen Intention ist das Strophenschema des Jüngeren Titurel als Bearbeitungsgrundlage aller Einzelerzählungen. Darüber hinaus haben die nach gleichem Grundmuster gestalteten Prologe zu den Teilwerken nicht nur gliedernde, sondern auch verklammernde Funktion, ebenso wie die Diskurse mit der Personifikation Frau Minne, in die sich der Erzähler an markanten Stellen verstrickt.

Rudolf Voß

Literatur / Quellen:

  • Voß, Rudolf: „Werkkontinuum und Diskontinuität des Einzelwerks – zum Ensemble von Ulrich Füetrers Buch der Abenteuer“. In: Cyclification. The Development of Narrative Cycles in the Chansons de Geste and the Arthurian Romances, hg. von Bart Besamusca, Willem P. Gerritsen, Corry Hogetoorn, u. a., Amsterdam: Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen 1994, S. 221–227.
  • Bastert, Bernd: „Zu Autor und Werk“. In: Ulrich Füetrer. Das Buch der Abenteuer, Teil 2, hg. von Heinz Thoelen, Göppingen: Kümmerle 1997, S. 533–599.
Schlagwörter: Ästhetik, Buch, Didaktik, fiktional, geordnet, Gesamtkompendium, geschlossen, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Mythos/Religion, offen, Rahmenexpansion, schematisch, Speicher, symbolisch, Text, textuell, Überbreite, Universalchronik, Unterhaltung, Zeitensynopse

1469 – Scherzliger Passionspanorama

Das Passionspanorama von Peter Maler von Bern für die Kirche in Thun/CH bildet die Ereignisse der Passionsgeschichte über die gesamte Südostwand hinweg ab und ist das größte und älteste Passionspanorama des 15. Jahrhunderts. – Hannah Rex

Weblinks:

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Schlagwörter: Ästhetik, Bauwerk, Bild, bildvisuell, Denkmal, Didaktik, fiktional, geordnet, Gesamtprojektion, geschlossen, Großtableau, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, mimetisch, Mythos/Religion, Panoramabild, panoramatische Erzählung, Rahmenexpansion, schematisch, symbolisch, Überbreite, Wimmelbild, Zeitensynopse, Zugleichspräsentation

ca. 1410 – Heinrich Wittenwiler, Ring

Der Autor, wahrscheinlich adliger Jurist am Konstanzer Bischofshof, legt die Intention des Werks im Prolog nach dem Horazischen Motto des prodesse und delectare dar. Seine satirische Präsentation der bäuerlichen Sphäre will er freilich nicht sozial verstanden wissen, sondern im Hinblick auf ethisches Fehlverhalten schlechthin. Die komischen Effekte sollen der menschlichen Schwäche Rechnung tragen, seriöse Belehrung, auf die es eigentlich ankomme, schwerlich in reiner Ausprägung goutieren zu können. Damit den Rezipienten die jeweilige Bezugsebene deutlich wird, kündigt der Verfasser an, die seriös gemeinten Partien mit einer roten Farblinie zu kennzeichnen, die komischen mit einer grünen – was in der einzigen erhaltenen Handschrift auch so durchgeführt ist. Den Titel Ring leitet er aus einem doppelten, materiale All-Erfassung mit formaler Geschlossenheit verbindenden Anspruch ab: nämlich den Belangen des Daseins in der Welt (orbis) umfassend gerecht zu werden und dabei zugleich – im Bild eines edelsteinbesetzten Kleinods (anulus) – einen kostbaren Wissensschatz zu vermitteln. Diesbezüglich werden, der Dreigliederung der Handlung folgend, drei Lebenssphären durchmessen: zunächst die höfische Sphäre, sodann die persönliche Sphäre in ihrer religiösen, ethischen, sozialen und physischen Ausprägung als die gewichtigste, sowie schließlich die politische Konfliktsphäre von Gewalt und Krieg.

Die Erzählung entfaltet in 9699 Versen die Geschichte des plumpen bäuerlichen Helden Bertschi Triefnas. Am Anfang steht seine zwar ungeschickte, letztlich aber doch erfolgreiche Werbung um ein ebenso plumpes Bauernmädchen, in deren Zusammenhang ein Turnier veranstaltet wird, welches, den Voraussetzungen entsprechend, grotesk missrät. Das Hochzeitsfest endet in einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit den Gästen aus der Nachbargemeinde, die sich ausweitet zu einem großen Krieg. Auf beiden Seiten werden Verbündete gesucht: die großen Städte der damaligen Welt, andere Gemeinden und Regionen, aber auch mythologische Gestalten wie Hexen, Zwerge, Riesen, Personal der Heldenepik. Am Ende steht die Vernichtung von Bertschis sozialer Gemeinschaft. Er selbst rettet sich aus der Katastrophe mit einer radikalen Lebenswende, indem er sich, wie später Grimmelshausens Simplicissimus, als Eremit in den Schwarzwald zurückzieht, wodurch er das ewige Heil gewinnt.

In diesen epischen Rahmen ist eine Fülle von oft weit ausgreifenden didaktischen Sequenzen eingebettet, meist explizit, gelegentlich aber auch indirekt als Umkehrbild der normwidrigen Situation. Bezüglich der höfischen Lebenssphäre werden das traditionelle Ethos, das ästhetische Ideal und die kulturellen Rituale der höfischen Liebe ausgebreitet, ferner die Regeln des ritterlichen Kampfes und speziell des Turniers. Bezüglich der allgemeinen Lebensführung geht es maßgeblich um Wissensinhalte, die von den Grundsätzen des christlichen Glaubens her bestimmt sind: Trinitätsdogma, Erlösungsgedanke, die zehn Gebote, die sieben Sakramente, sieben Todsünden, die Pflichten des Kirchgangs, Beichte, Kommunion, Weisheit und Tugend. Es schließen ausführlichste Ratschläge zur praktischen Lebensführung an. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne weitere Differenzierung seien hinsichtlich der lebenspraktischen Orientierung angeführt: Anzeichen von Schwangerschaft, Für und Wider des Ehestands, richtige Partnerwahl, Arbeit und Vergnügen, Achtsamkeit auf gute Gesundheit, ökonomisches Handeln. Didaktische Aspekte bezüglich der Kriegsführung in der Schlusspartie betreffen vornehmlich die Gesichtspunkte Opportunität, Rechtmäßigkeit, Taktik sowie den Umgang mit Gefangenen.

Höchst signifikant für die Spannweite der Didaxe im Ring ist insbesondere der Umstand, dass in völliger Kontraposition zum Postulat ethisch geleiteten Handelns für den sozial diskreditierenden Fall außerehelicher Defloration detailreich und somit nachvollziehbar eine Praktik des Kaschierens dargelegt wird. Der opportunistische Zweck, den Anschein von Unberührtheit zu simulieren, verschafft in diesem Kontext dem Mittel des Betrugs eine, freilich dubiose, Rechtfertigung. Mit solcher Expansion bis in existenzielle Niederungen konstituiert Wittenwilers Dichtung ein nach spätmittelalterlichen Maßstäben annähernd vollständiges, sogar die Grenze zur Diskrepanz überschreitendes didaktisches Universum – dargeboten als auch formal paradoxer, aber in sich stimmiger ‚Faden-Ring-Gesamtquerschnitt‘ der materialen und moralischen Welt. – Rudolf Voß

Literatur / Quellen:

  • Voss, Rudolf: „Weltanschauung und poetische Totalität in Heinrich Wittenwilers Ring“. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 93 (1971), S. 351–365.
Schlagwörter: Ästhetik, Buch, Didaktik, Enzyklopädie, fiktional, geordnet, Gesamtprojektion, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, mimetisch, offen, schematisch, symbolisch, Text, textuell, Unterhaltung