Das Passionspanorama von Peter Maler von Bern für die Kirche in Thun/CH bildet die Ereignisse der Passionsgeschichte über die gesamte Südostwand hinweg ab und ist das größte und älteste Passionspanorama des 15. Jahrhunderts. – Hannah Rex
1308 – Raimundus Lullus, Ars brevis
Über mehrere Jahrzehnte hinweg entwickelt der mallorcinische Gelehrte Raimundus Lullus (Ramon Llull) seine Ars combinatoria oder Ars magna: einen philosophisch-theologischen Kalkül, der „die Beantwortung aller Fragen, vorausgesetzt, was man überhaupt wissen kann, ist formulierbar im Begriff“ (Künzel/Bexte, Allwissen und Absturz, S. 34), ermöglichen soll. Am wirkmächtigsten wird die unter dem Titel Ars brevis (1308) bekannte Version. Ernst Bloch hat das damit verfolgte Programm in Das Prinzip Hoffnung so charakterisiert: „Die Lullische Kunst wollte […] eine Anleitung geben zur Auffindung des an jedem Gegenstand kategorial Bestimmbaren, wissenschaftlich Unterscheidbaren, Verbindbaren, Beweisbaren. Und die Hoffnung des Lullus eben war: die Kombinationsmaschine des Wissens umzirkelt und erschöpft jede überhaupt nur sinnvoll mögliche Abwandlung der Erkenntnis. Sie demonstriert buchstäblich ad oculos, dergestalt, daß der Wißbegierige die erzrationalistische Ableitung der Einzelbestimmungen aus Ideen auch sehen, nicht nur einsehen kann.“ (Bloch, Das Prinzip Hoffnung, S. 2/761) – Bernd Klöckener
Literatur / Quellen:
- Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974
- Künzel, Werner/Bexte, Peter: Allwissen und Absturz. Der Ursprung des Computers, Frankfurt am Main/Leipzig: Insel 1993
- Lullus, Raimundus: Ars brevis [1308], Hamburg: Meiner 2001
Weblinks:
1200–1210 – Wolfram von Eschenbach, Wundersäule im Parzival
In dem mittelhochdeutschen Epos Parzival wird eine Wundersäule beschrieben (Str. 589,1–590,16 u. 592,1–19), die wie ein Weltspiegel funktioniert. Sie befindet sich im Wunderland Terre marveille und macht sämtliche Vorgänge im Umland sichtbar. Die Säule steht nicht im Freien, sondern ist innerhalb eines überkuppelten Turms situiert, durch dessen Fenster sie Strahlen aussendet. Diese kehren zur Säule zurück und erzeugen ein dynamisches Abbild im Einklang mit der Welt, das auf der Säule sichtbar wird. Da die Strahlen einzig durch die Fenster des Turmes hinausgelangen, entstehen trotz der 360°-Anlage blinde Flecken, während die Strahlen, die durch zwei benachbarte Fenster ausgesendet werden, eine Szene wiederum nur aus unterschiedlichen Winkeln abbilden können. Das Wahrnehmen dieser mimetischen Repräsentationen unterscheidet sich deutlich vom alltäglichen Sehen, weil die Abbildungen auf der Säule von der in dem Epos erzählten Realität abweichen. Denn infolge der Überlappungen und Verzerrungen entsteht eine gewisse Diskontinuität der Darstellung. Im Unterschied zum Spiegel aus dem Eneasroman Heinrich von Veldekes ist für die Wundersäule auch ein Betrachter vorgesehen: Das Zusammenwirken von der abbildenden Säule und den wahrnehmenden Rezipienten, die je nach Vorwissen und Einstellungen das Dargebotene unterschiedlich verstehen, ist für das wolframsche Konzept sehr wichtig. Wolframs Wundersäule wurde in weiteren mittelalterlichen Texten rezipiert und gedeutet, etwa im Jüngeren Titurel sowie in Heinrich von Neustadts Apollonius von Tyrland. – Sofya Sinelnikova
Literatur / Quellen:
- Störmer-Caysa, Uta: „Übersicht und Einsicht. Wundersäulen und Weltspiegel in mittelalterlichen Texten“. In: Alles im Blick. Perspektiven einer intermedialen Panoramatik, hg. von Roman Mauer, Johannes Ullmaier, und Clara Wörsdörfer, Wiesbaden: Springer 2025, S. 109–144.
- Wolfram von Eschenbach: Parzival, Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker-Verlag 1994.
Weblinks:
1170–1188 – Heinrich von Veldeke, Weitsicht-Spiegel im Eneasroman
Der Eneasroman, der erste deutschsprachige höfische Roman, wird im 12. Jh. vom Dichter Heinrich von Veldeke als Übersetzung des französischen Roman d’Eneas verfasst. Die beiden Werke sind mittelalterliche Bearbeitungen zu Vergils Epos Aeneis, in dem die Vorgeschichte der Begründung Roms erzählt wird. Im Eneasroman (Str. 9562–9571) beschreibt Veldeke einen wunderbaren Weitsicht-Spiegel. Dieser befindet sich auf dem Grabmal der amazonischen Königin Camilla, das sie schon bei Lebzeiten bauen lässt. Veldekes Beschreibung bezieht sich auf die Priester-Johannes-Tradition: Auf dem Grabmal wird ein mehrstufiges, säulenartiges Bauwerk mit einem Spiegel am oberen Ende eingerichtet. Aus der Perspektive der Optik und der Technologie kann man sich diesen als Vollkugel oder mindestens als Konvexspiegel vorstellen, da er das Herrschaftsgebiet rundum abbildet. Die Projektion erfolgt in zwei Dimensionen: Die erste umfasst das Sichtbare, also die räumliche Umgebung, die zweite hingegen das Unsichtbare – die feindlichen Absichten der Menschen. Diese Fähigkeiten des Spiegels können auch der Verteidigung der Herrschaft dienen, allerdings nur, wenn es jemanden gibt, der in den Spiegel schaut. Doch kann sich – Veldekes Beschreibung nach – niemand in dem Bauwerk aufhalten, weil die Eingänge vermauert sind. Theoretisch ist aber ein Blick von außen möglich, wenngleich fraglich scheint, wie viel man überhaupt auf diese Weise sehen kann. Obwohl die Verteidigungsfunktion des Spiegels in Veldekes Werk also deutlich ausgewiesen ist, bleibt der Weg, sie zu benutzen, doch versperrt. Wie in anderen mittelalterlichen Weltspiegel-Fiktionen offenbart sich auch hier ein besonderer Zusammenhang zwischen Wahrnehmen und Zeigen: Der Spiegel nimmt zwar alles wahr, das kann aber niemand sehen. – Sofya Sinelnikova
Literatur / Quellen:
- Störmer-Caysa, Uta: „Übersicht und Einsicht. Wundersäulen und Weltspiegel in mittelalterlichen Texten“. In: Alles im Blick. Perspektiven einer intermedialen Panoramatik, hg. von Roman Mauer, Johannes Ullmaier, und Clara Wörsdörfer, Wiesbaden: Springer 2025, S. 109–144.
- Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdt. übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachw. von Dieter Kartschoke, Stuttgart: Reclam 2007.
Weblinks:
ca. -60 – Bildfries, Villa dei Misteri (Pompeji)

Womöglich frühester Beleg einer 360°-Bilddarstellung. Das Fresko in der Villa dei Misteri in Pompeji um 60 v. Chr. ist im reifen Zweiten Stil pompejianischer Malerei gestaltet, 2 m hoch und 20 m lang und deckt alle vier Wände des großen Saals ab. Überlebensgroße menschliche Körper bevölkern verschiedene Szenen, die dem Althistoriker Paul Veyne zufolge eine Einweihung in den bacchantischen Dionysoskult darstellen. – Rebecca Rasp
Literatur / Quellen:
- Veyne, Paul: Das Geheimnis der Fresken. Die Mysterienvilla in Pompeji, Darmstadt: WBG/Philipp von Zabern 2018, S. 13–56
Weblinks:
ca. -250 – Maya-Kalender
Bevor die mächtigsten monotheistischen Kulturtraditionen sich für lange Zeit dogmatisch auf eine lineare und beidseitig geschlossene Gesamtweltzeitordnung in der Größenordnung einiger Jahrtausende festlegen, beginnen die Maya, ein Kalendersystem mit mehreren, im Prinzip offnen Zyklen (Tzolkin/Haab/Long Count) zu entwickeln, deren ausgreifendste Kombination sich nur alle 374.152 Jahre wiederholt. Ihre idealpanoramatische Differenziertheit und größere Nähe zu den heute bekannten kosmischen Zeitdimensionen bleibt gegen die reale Barbarei der christlichen Conquistadoren jedoch machtlos. – Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Lenz, Hans: Universalgeschichte der Zeit, Wiesbaden: Marix 2005, S. 326–332
Weblinks:
ca. -4900 – Erste „Sternwarte“

Die 1991 entdeckte Kreisgrabenanlage von Goseck in Sachsen-Anhalt gilt als frühester archäologisch belegter Ort systematischer Himmelsbeobachtung. Sie besteht aus einem kreisförmigen Graben mit einem Durchmesser von ca. 70 m und ist von einem Wall umgeben. Im Inneren des Grabens befinden sich vier Tore, die in alle vier Himmelsrichtungen ausgerichtet sind. 2005 wurde das Bauwerk rekonstruiert und als Besichtigungsort eröffnet. – Maureen Seyfarth | Johannes Ullmaier