1170–1188 – Heinrich von Veldeke, Weitsicht-Spiegel im Eneasroman

Der Eneasroman, der erste deutschsprachige höfische Roman, wird im 12. Jh. vom Dichter Heinrich von Veldeke als Übersetzung des französischen Roman d’Eneas verfasst. Die beiden Werke sind mittelalterliche Bearbeitungen zu Vergils Epos Aeneis, in dem die Vorgeschichte der Begründung Roms erzählt wird. Im Eneasroman (Str. 9562–9571) beschreibt Veldeke einen wunderbaren Weitsicht-Spiegel. Dieser befindet sich auf dem Grabmal der amazonischen Königin Camilla, das sie schon bei Lebzeiten bauen lässt. Veldekes Beschreibung bezieht sich auf die Priester-Johannes-Tradition: Auf dem Grabmal wird ein mehrstufiges, säulenartiges Bauwerk mit einem Spiegel am oberen Ende eingerichtet. Aus der Perspektive der Optik und der Technologie kann man sich diesen als Vollkugel oder mindestens als Konvexspiegel vorstellen, da er das Herrschaftsgebiet rundum abbildet. Die Projektion erfolgt in zwei Dimensionen: Die erste umfasst das Sichtbare, also die räumliche Umgebung, die zweite hingegen das Unsichtbare – die feindlichen Absichten der Menschen. Diese Fähigkeiten des Spiegels können auch der Verteidigung der Herrschaft dienen, allerdings nur, wenn es jemanden gibt, der in den Spiegel schaut. Doch kann sich – Veldekes Beschreibung nach – niemand in dem Bauwerk aufhalten, weil die Eingänge vermauert sind. Theoretisch ist aber ein Blick von außen möglich, wenngleich fraglich scheint, wie viel man überhaupt auf diese Weise sehen kann. Obwohl die Verteidigungsfunktion des Spiegels in Veldekes Werk also deutlich ausgewiesen ist, bleibt der Weg, sie zu benutzen, doch versperrt. Wie in anderen mittelalterlichen Weltspiegel-Fiktionen offenbart sich auch hier ein besonderer Zusammenhang zwischen Wahrnehmen und Zeigen: Der Spiegel nimmt zwar alles wahr, das kann aber niemand sehen. – Sofya Sinelnikova

Literatur / Quellen:

  • Störmer-Caysa, Uta: „Übersicht und Einsicht. Wundersäulen und Weltspiegel in mittelalterlichen Texten“. In: Alles im Blick. Perspektiven einer intermedialen Panoramatik, hg. von Roman Mauer, Johannes Ullmaier, und Clara Wörsdörfer, Wiesbaden: Springer 2025, S. 109–144.
  • Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdt. übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachw. von Dieter Kartschoke, Stuttgart: Reclam 2007.

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ca. 510 – Negative Theologie des Pseudo-Dionysius Areopagita

Ausgehend von einer absoluten Transzendenz Gottes entwickelt Pseudo-Dionysius in seiner Schrift De mystica theologia eine apophatische Theologie, deren radiakle All-(Ursachen-)Verneinung innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte einen Extrempol ‚negativer Panoramatik‘ markiert. Dabei nimmt der Grieche zunächst die Offenbarung und deren affirmative Beschreibungen Gottes in den Blick – hier gelangt er zu der Erkenntnis, die Namen und Attribute Gottes innerhalb der Heiligen Schrift charakterisierten lediglich sein Wirken, nicht aber sein Wesen. Diese Zuschreibungen würden der absoluten Transzendenz Gottes nicht gerecht, vielmehr sei die Verneinungen als Methode geeigneter als die Attribuierung, um das Wesen des Schöpfers zu beschreiben respektive sich ihm anzunähern.

Im vierten Kapitel widmet sich Pseudo-Dionysius der Unmöglichkeit, Gott sinnlich zu erkennen, und stellt den Grundsatz auf, dass „die Allursache […] weder wesenlos noch leblos, weder sprachlos noch vernunftlos ist“ (Areopagita, Mystische Theologie, 79 / 1040,1 D). Daran schließt er weitere Negationen an und verdeutlicht, dass Gott weder „sinnlich wahrgenommen“ (79) würde noch überhaupt mittels der Sinne erfassbar sei. Schlussendlich seien alle perzeptiven Annahmen über die Allursache im Grundsatz ungeeignet. Im fünften Kapitel weitet Pseudo-Dionysius dies auf Formen der intelligiblen Erkenntnis aus. Gott sei „weder Seele […] noch Geist“ (79) und könne somit weder „ausgesagt noch gedacht“ werden. Dem menschlichen Geist sei es, insbesondere wegen seiner Eigenart, in Oppositionen zu denken, unmöglich, die Allursache zu begreifen.

Sowohl die selbstreflexive doppelte Negation im Bereich des Sinnlichen als auch die scheinbar widersprüchlichen Verneinungen von Gegensätzen im Kontext der geistigen Erkenntnis verdeutlichen die Unbegreifbarkeit des Göttlichen. So entziehe sich die Allursache „jeder (Wesens-) Bestimmung, Benennung und Erkenntnis“ (80), schließlich entziehe sie sich aufgrund ihrer Unbestimmtheit jedweder Form der Bestimmung. Auch die Negation scheitert notwendigerweise an der Bestimmung Gottes, sodass die einzige Möglichkeit zur Annäherung an Gott eine infinite apophatische Theologie bleibt, die dennoch niemals zu einer Erkenntnis über die Allursache gelangen kann, da die Beschreibungsversuche spätestens dann enden müssen, wenn die Sprache an ihre Grenzen stößt und erlischt. Die hier früh formulierte Idee einer letztlich prinzipiell vergeblichen, in einem approximativen Prozess aber de facto doch relativ weitreichend zu bewerkstelligenden All-Annäherung ist auch mit Blick auf die Entwicklung und Verlaufsform medialer All-Präsentationsversuche vielfach und bis heute aufschlussreich. – Niclas Stahlhofen

Literatur / Quellen:

  • Pseudo-Dionysius Areopagita: Über die mystische Theologie und Briefe. Übers. V. Adolf Martin Ritter. Stuttgart: Hiersemann 1994.
  • Pöpperl, Christian: Auf der Schwelle. Ästhetik des Erhabenen und negative Theologie. Pseudo-Dionysius Areopagita, Immanuel Kant und Jean-Francois Lyotard, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007.
  • Suchla, Beate Regina: Dionysius. Leben – Werk – Wirkung, Freiburg: Herder 2008.

Weblinks:

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305 – Das Eine in Plotins Enneaden

Grundlegend für Plotins Philosophie ist das System der drei Hypostasen, in dem der Philosoph eine hierarchische Gesamtordnung allen Seins anlegt. Dabei ist im Grundsatz zwischen der physischen Welt, die alle sinnlich erfahrbare Materie umfasst und auf der niedrigsten Ebene angesiedelt ist, sowie dem geistigen Bereich zu unterscheiden. Letzterer gliedert sich in die Seele, den Geist (nous) und das Eine. Während die Seele innerhalb der unmittelbaren Erfahrungswelt agiert, steht der nous in der Tradition der platonischen Ideenlehre und ist zur höchsten Form der intelligiblen Erkenntnis fähig. Der Geist erkennt sämtliche Formen und darüber hinaus auch sich selbst. Hierin sieht der Gelehrte eine Problematik, denn innerhalb des Erkenntnisprozesses sei im Mindesten die „Zweiheit“ (Plotin, Schriften, V 6 [24],1) von „Gedachte[m] und Denkende[m]“ (V 6 [24],1) enthalten. Diese Vielfalt muss nach Plotin durch eine Einheit „zusammengehalten“ (VI 9 [2]) werden. Da die Pluralität andernfalls nicht stabil sei, wird dieses Eine als Einheit und Allursache allen Seins vorausgesetzt. Es existiert „jenseits des Seins und des Erkennens“ (VI 8 [39],16). Aus diesem Urgrund gehen alle anderen Instanzen des hypostatischen Modells hervor, denn nach Plotin „würde ja überhaupt kein Ding existieren[,] wenn das Eine bei sich stehen bliebe und es gäbe nicht die Vielfalt unserer Erdendinge“.

Nun stellt sich die Frage, wie jenes „Einfachste von allen Wesen“ (V 3 [13]) gedacht oder beschrieben werden könnte. Hier entwickelt Plotin eine negative Theologie, indem er darauf hinweist, dass positive Aussagen über das Eine nicht zulässig seien. So identifiziert Plotin die Allursache zwar mit dem Guten, doch sieht er in einer Kopula wie ‚Gott ist gut‘ bereits eine Zweiheit und Komplexität angelegt, die der Einheit des Einen widerspreche. Ergo kann das Eine nur durch das, „was es nicht ist“ (Gertz, Plotinos 990), verständlich gemacht werden. Plotin resümiert: „Somit haben wir es, daß wir wohl über es, nicht aber es aussagen können. Wir sagen ja aus, was es nicht ist; und was es ist, das sagen wir nicht aus“ (V 3 [49],14). Diese Unbeschreibbarkeit resultiert aus der Tatsache, dass der Geist die Allursache lediglich „von den Dingen aus, die später sind als es“ (V 3 [49],14), zu erkennen vermag. In der weiteren neuplatonischen Tradition arbeitet Pseudo-Dionysius Areopagita den Ansatz einer negative Theologie – von den Enneaden ausgehend – in einer Weise aus, die insbesondere hinsichtlich des transzendenten Einen und den daraus folgenden erkenntnistheoretischen Problemen Parallelen zu Plotin aufweist. Doch schon bei diesem ist die fundamentale Dialektik von Allbegriff und Allentfaltung eindringlich beschrieben. – Niclas Stahlhofen

Literatur / Quellen:

  • Plotinus: Plotins Schriften. Übers. v. Richard Harder, neubearb. m. griech. Lesetext u. Anm. fortgeführt v. Rudolf Beutler u. Willy Theiler. 6 Bde (in 11 Teilbd.). Hamburg: Meiner 1956–1971.
  • Gertz, Sebastian: „Plotinos“. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 17, Stuttgart: Hiersemann 2016, S. 988–1009.
  • Halfwassen, Jens: Plotin und der Neuplatonismus, München: Beck 2004.
  • Tornau, Christian (Hg.): Plotin Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: Metzler 2024.
  • Tornau, Christian: Plotin Enneaden VI 4–5 [22–23]. Ein Kommentar, Stuttgart & Leipzig: Teubner 1998.

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31 – Versuchung Jesu

Dem Neuen Testament zufolge führt der Teufel Jesus in der Judäischen Wüste auf einen Berg, zeigt ihm dort „alle Reiche der ganzen Welt in einem Augenblick“ (Lk 4,5) und bietet ihm die Herrschaft darüber an. Die damit greifbare Verbindung des All-Welt-Schau-Motivs mit den Verlockungen weltlichen Machtstrebens bzw. menschlicher Hybris oder superbia wird in Zukunft immer wieder Gegenstand von Warnungen, erbaulichen Gedanken und Ermahnungen sein. – Bernd Klöckener

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ca. 8 – Argus in Ovids Metamorphosen

Im ersten Buch von Ovids Metamorphosen wird Argus, Sohn Arestors, als Bewacher der Io eingeführt. Sein Haupt ist von hundert Augen bedeckt, die sich abwechselnd ausruhen und Wache halten, sodass ihm nichts entgehen kann und er zum ultimativen Wächter wird. Nach seiner Ermordung durch Merkur im Auftrag Jupiters werden seine Augen laut der Metamorphose in das Gefieder des Pfaus eingesetzt. Das Pfauenaugenmotiv läuft seither durch die Kunstgeschichte, prominent etwa bei Peter Paul Rubens (1610) oder Salvador Dalí, der das Bild im Zuge der Suite Mythologie 1963/65 radiert und koloriert. – Lea Müller

Literatur / Quellen:

  • Ovid: Metamorphosen, Stuttgart: Reclam 1994, Buch I, V 568–688
  • Weblinks:

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ca. 8 – Icarus in Ovids Metamorphosen

Wie der Turmbau zu Babel indiziert auch die Urszene abendländischer Flugpanoramatik (Buch VIII, V 183–235) mit der Begehrensmacht zugleich die Zweischneidigkeit menschlicher Himmelsaufbrüche. Daedalus’ aviatische Technik ermöglicht ihm und seinem Sohn Icarus die erhebende Befreiung aus der kretischen Verbannung. Doch die Lust am Aufstieg mündet in Kontrollverlust. Die Kernpassage gestaltet zudem den Perspektivwechsel vom situierten Aufschauen erdgebundener Beobachter zu den vermeintlich göttlichen Fliegern hin zu deren (quasi-)göttlicher Überschau: „Wer sie erblickt, ein Fischer vielleicht, der mit schwankender Rute angelt, ein Hirte, gelehnt auf den Stab, auf die Sterzen gestützt, ein Pflüger, sie schauen und staunen und glauben Götter zu sehen, da durch den Äther sie nahn. Schon liegt zur Linken der Juno heiliges Samos, liegt im Rücken Delos und Paros, rechts schon Lebinthus erscheint und das honigreiche Calymne, als der Knabe beginnt, sich des kühnen Flugs zu freuen, als er den [väterlichen] Führer verläßt und im Drang, sich zum Himmel zu heben, höher den Weg sich wählt.“ Weil er der Sonne zu nahe kommt, schmilzt das Wachs, das die Flügel mit seinem Körper verbindet, und er stürzt ins Meer. „‚Icarus!‘, ruft [Dedalus], ‚wo bist du? Wo soll in der Welt ich dich suchen?‘“ (Ovid, Metamorphosen, S. 287) – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Ovid: Metamorphosen, Stuttgart: Reclam 1994, S. 285–287

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ca. -25 – Vergil, Aeneis, Beschreibung des Aeneas-Schilds

Im achten Buch der Aeneis beschreibt Vergil, wie die Göttin Venus ihrem Sohn Aeneas Geschenke macht, die ihr Mann, der Gott Vulkan, für ihn angefertigt hat. Eines davon ist ein Schild (V 585–731), welcher wichtige Szenen der Zukunft Roms darstellt. Zu sehen sind z. B. Romulus und Remus, die von einer Wölfin gesäugt werden, der Raub der Sabinerinnen, der Sieg von Rom mit Porsena, der Gallische Angriff auf Rom, die Schlacht von Actium und die Herrschaft von Augustus Caesar. Vergil konkurriert mit Homer im künstlerischen Ekphrasis-Wettstreit und übertrifft ihn dabei insofern, als Aeneas’ Schild nicht nur – wie der Homerische des Achill – ein zwar belebtes, aber relativ synchrones Weltpanorama, sondern die ganze weitere Geschichte zeigt, die der Held noch gar nicht kennen kann. – Jana Keim

Literatur / Quellen:

  • Vergil: Aeneis, Berlin/Boston: de Gruyter 2015

Weblinks:

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🖙 textlog Schild des Aeneas

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ca. -50 – Lukrez, De rerum natura


Epikureisches Hexamater-Lehrgedicht mit Gesamtwelterklärungs-Anspruch vom atomaren Mikrokosmos über die menschliche Wahrnehmung, Erkenntnisfähigkeit und Seele bis hin zur Meteorologie und Kosmologie. – Johannes Ullmaier

Literatur / Quellen:

  • Lukrez: De rerum natura / Welt aus Atomen, Ditzingen: Reclam 2023

Weblinks:

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Schlagwörter: Ästhetik, Buch, Didaktik, Enzyklopädie, faktual, Gesamtkompendium, Idealpanoramatik, Inhaltspanoramatik, Konzept/Idee, Laufpräsentation, Medialpanoramatik, Mythos/Religion, offen, Organisation, panoramatische Diskursform, symbolisch, Technik, Text, textuell, unbegrenzte Allheit, Unterhaltung, Wissenschaft

-200 – König Philipp von Makedonien besteigt den Haemus

Der makedonische König Philipp habe, so berichtet Livius in seiner römischen Universalgeschichte Ab urbe condita, den Haemus besteigen wollen, „weil er der allgemeinen Meinung Glauben beimaß, man könne dort zugleich das Pontische und Hadriatische Meer, die Donau und die Alpen sehen; und er versprach sich von dieser Übersicht für seinen Plan zu einem Römischen Kriege Winke von Entscheidung“ (Livius 40,21). Doch je höher Philipp und seine Begleiter kommen, desto weniger können sie offenbar sehen; sie geraten in immer dichteren Wald, werden zudem von Nebel überrascht, und der Weg wird so beschwerlich, „als machten sie ihn bei Nacht. Erst am dritten Tage gelangten sie auf den Gipfel. Nach ihrer Herabkunft ließen sie den gemeinen Glauben ohne allen Widerspruch; vermuthlich mehr, um einem Spotte über ihre vergebliche Reise zu entgehen, als dass sie wirklich die Meere, Gebirge und Ströme auf so entgegengesetzten Punkten zugleich von diesem einzigen Standorte hätten sehen können.“ (Livius 40,22). Somit kulminiert diese Urszene der Realpanoramatik – noch Petrarca wird sich von Livius’ Textstelle zu seiner Besteigung des Mont Ventoux inspiriert sehen – in signifikanter Bedeutungslosigkeit. Dass Philipp den bald darauffolgenden Krieg gegen die Römer verlieren würde, wer hätte es kommen sehen? – Bernd Klöckener

Literatur / Quellen:

  • Livius, Titus: Römische Geschichte, Braunschweig: Friedrich Vieweg 1821

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🖙 Projekt Gutenberg

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ca. -250 – Turmbau zu Babel im Alten Testament

Der biblische Bericht vom Turmbau zu Babel (Gen 11, 1–9) ist eine der bekanntesten Erzählungen des Alten Testaments. Darin beginnt ein Volk aus dem Osten, welches „die eine“ heilige Sprache spricht, in der Ebene des Landes Schinar einen Turm zu bauen, der mit seiner Spitze bis zum Himmel reichen soll, was traditionell als Versuch der Menschheit gedeutet wird, sich Gott gleichzustellen, indem man sich zu dessen himmlischer Überschau-Perspektive hocharbeitet. Gott sabotiert dieses Vorhaben durch die babylonische Sprachverwirrung: Wo zuvor alle Menschen ein gemeinsames Zentrum und eine universale Verständigungsbasis hatten, sind sie nun in alle Welt verstreut und verstehen einander nicht mehr. Realgeschichtlich wird der Turmbau heute am ehesten mit der Zikkurat Etemenanki in Verbindung gebracht. – Caroline Klein

Literatur / Quellen:

  • Wadler, Arnold: Der Turm von Babel [1935], Wiesbaden: Fourier Verlag 1980
  • Katholische Bibelanstalt (Hg.): Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Freiburg im Breisgau: Herder 2016, Gen 11, 1–9
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