In eigentümlicher Verknüpfung von antik-rhetorischer Mnemotechnik – insbesondere des ‚Ablegens‘ von zu Erinnerndem in einer Ortsstruktur – sowie renaissance-synkretistischer Hermetik ersinnt Giulio Camillo (ca. 1480–1544) ein Weltgesamterfassungsschema mit dem „ungeheueren Anspruch, […] das Universum durch einen Blick von oben, von den ersten Ursachen her, als ob er Gott wäre, in Erinnerung [zu] behalten.“ (Yates, Gedächtnis und Erinnern, S. 137). Auf diese Art könne „der Mikrokosmos […] den Makrokosmos ganz verstehen.“ (ebd.). Zwar bleibt eine bauliche Realisation seines Konzepts, das als aufsteigendes Halbrund-Theatrum gedacht ist, dem reisenden Gelehrten zeitlebens versagt, doch kann er Besuchern einen zimmergroßen Prototyp vorführen. Im Theaterbild entspricht die Anordnung sieben jeweils siebenreihigen Tribünensektoren, in denen aber nicht wie sonst das Publikum Platz findet, sondern sich Himmelskörper, Mythologeme, Sinnbilder, Elemente, Künste und Realien auf wundersame Weise zueinanderfügen, während die allüberschauende Instanz vorn auf der (statt wie sonst zuunterst) hier zuoberst imaginierten Bühne steht – mit Zentralblick wie von einer späteren Panorama-Plattform. (Yates, Gedächtnis und Erinnern, S. 381–392) Mangels Betriebspraxis gerät Camillos Gedächtnistheater jedoch bald in Vergessensheit. – Johannes Ullmaier
Literatur / Quellen:
- Yates, Frances A.: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles und Shakespeare. [OA: The Art of Memory. 1966], 5. Aufl., Berlin: Akademie Verlag 1999, S. 123–149
- Camillo, Giulio: L’idea del theatro con L’idea dell’eloquenza, il De Transmutatione e altri testi inediti, Milano: Adelphi 2015